Leben

Mit allen Wassern gewaschen

Wechselbäder und Güsse können eine heilende Wohltat für Körper und Geist sein. Wer das schon immer wusste? Pfarrer Sebastian Kneipp. Vor 201 Jahren erblickte er im Unterallgäu das Licht der Welt.

Die kalten Güsse nach Kneipp sind ein intensiver Reiz für den Körper und stärken die Abwehrkräfte. Foto: redaktion63 - stock.adobe.com

Die kalten Güsse nach Kneipp sind ein intensiver Reiz für den Körper und stärken die Abwehrkräfte. Foto: redaktion63 - stock.adobe.com

Stellen Sie sich vor, Sie könnten Ihr Herz-Kreislauf-System mit fließendem Wasser anregen. Krampfadern, Rheumatismus oder Beschwerden am Hüftgelenk einfach abwaschen. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Ist es aber nicht. Denn dank Sebastian Kneipp wissen wir heute, dass Wechselbäder und Güsse eine heilende Wohltat für Körper und Geist sein können.Heilung aus dem Wasserhahn? Zugegeben, ganz so leicht ist es natürlich nicht. Es gehört schon ein wenig mehr dazu. Pfarrer Sebastian Kneipp feierte vor 130 Jahren Erfolge mit seiner naturheilkundlichen Wissenschaft. Diese versprach den Menschen Besserung und im Idealfall sogar Heilung der Leiden.

Doch von Anfang an: Kneipp wurde vor 201 Jahren am 17. Mai 1821 als Sohn eines Hauswebers in Stephansried geboren. Da die Familie aus ärmlichen Verhältnissen stammte, musste er schon in jungen Jahren arbeiten, um die siebenköpfige Familie zu unterstützen. Meist verbrachte er die Zeit im kalten und feuchten Keller am Webstuhl. Durch den Verkauf der Textilien erzielte die Familie weitere Einnahmen, weshalb Kneipps Besuch an einer weiterführenden Schule nicht möglich war. Seine Eltern benötigten ihn als Arbeitskraft – obwohl er ein fleißiger Schüler mit Ambitionen war.

Kneipp musste also weiter träumen, vom Studium der Theologie und der Arbeit als Pfarrer. Doch der ehrgeizige junge Mann wollte seinen Wunsch nicht aufgeben und fand 1844 einen Pfarrer, der ihn förderte. So kam es, dass er mit 23 Jahren in die Gymnasialklasse der katholischen Studienanstalt von Dillingen eingeschult wurde. Nach nur vier Jahren schloss er mit dem Abitur ab und konnte sich endlich dem Theologiestudium widmen.

Allerdings musste er dem Unterricht oft fernbleiben, da er ständig unter starken, teilweise sogar blutigen Hustenanfällen und Fieber litt. Vermutlich erkrankte er an der damals weitverbreiteten Tuberkulose. Die Arbeitsbediengungen im Keller waren nicht die gesündesten.

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Alles, was wir brauchen, um gesund zu bleiben, hat uns die Natur reichlich geschenkt.“

Sebastian Kneipp hat die Wassertherapie zur Stärkung des Immunsystems vor mehr als 130 Jahren erfunden.

Die Kraft des Wassers

Durch Zufall fiel dem Kranken das Buch „Unterricht Von Krafft Und Würckung Des Frischen Wassers in Die Leiber Der Menschen“ von Siegmund Hahn in die Hände. Interessiert an der Wirkungsweise setzte er seine Hoffnung auf Heilung in die Kraft des Wassers. Zwei bis drei Mal die Woche nahm er eine 45-minütige Wanderung zur kalten Donau auf sich und tauchte für drei bis fünf Sekunden in das eiskalte Nass ein. Ohne sich abzutrocknen zog er seine warme Kleidung wieder an. Und siehe da, dank der gesundheitsfördernden Wirkung des kalten Wassers fühlte er sich erholt und ist tatsächlich gesund geworden.

Eine Frau, die an Cholera litt, heilte er, sowie eine Herde Rinder, die an der Maul- und Klauenseuche erkrankt war. Immer mehr Besucher strömten nach Wörishofen, wohin Kneipp als Priester versetzt wurde. Mit Güssen aus der Gießkanne therapierte er Leidende. Fortan trug er den Spitznamen „Wasserdoktor“.

Sie ist weithin bekannt, die wohltuende Wirkung des Wassers – nach einem langen Tag entspannen unter heißer Dusche, bei Müdigkeit hilft kaltes Wasser im Gesicht. Und auch Kneipp war sich dieser Wirkung bewusst und entwickelte seine Wasserkuren zur Hydrotherapie weiter. Wir verbinden mit Kneipp und dessen Therapie oft nur das Wassertreten im Kältebecken. Doch der Wasserdoktor entwickelte ein ganzheitliches Konzept, für ein gesundes Leben im Einklang mit der Natur. Dieses bilden die fünf Säulen Pflanzen, Bewegung, Ernährung, Balance und das erwähnte Wasser.

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Wassertreten – zum Beispiel in einer Kneipp‘schen Wassertretanlage – hilft, Infektionen vorzubeugen. Foto: Kzenon - stock.adobe.com
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Die kalten Reize an den Beinen fördern die Abwehrkräfte. Nur richtig auskühlen sollte man dabei nicht. Foto: Markus Wegmann - stock.adobe.com
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Zuerst taucht man den rechten, herzfernen Fuß ins Wasser, beginnend mit den Fußspitzen. Nach jedem Schritt zieht man den Fuß wieder ganz aus dem Wasser heraus. Foto: Kzenon - stock.adobe.com

Work-Life-Balance

Natürlich zur Ruhe kommen, sich gesund ernähren und genug bewegen – der Pfarrer hat vor 130 Jahren den heutigen Lifestyle gelebt. Unser Alltag wird immer hektischer, wir sind stressanfälliger. Gerade jetzt gilt es mehr denn je, gesund zu bleiben.

Es lohnt sich, einen kurzen Blick auf das Kneipp’sche Konzept zu werfen. Bekannteste Säule ist das Wasser, das für Leben und Erfrischung steht. Über 120 Wasseranwendungen nach Kneipp gibt es inzwischen – und sie sind besonders wegen ihrer einfachen Handhabung beliebt. Die Dusche sollte regelmäßig mit kalten Temperaturen beendet werden. Zum Einstieg hilft es, die Beine kalt abzuduschen. Die Verengung der Gefäße und das anschließende Weiten bringt den Kreislauf in Schwung und schon kann energiegeladen in den Tag gestartet werden.

Auch Bewegung bringt den Kreislauf in Fahrt und baut Stress ab. Am besten an der frischen Luft bei Sonnenschein, um die Stimmung mit aufzuhellen. Nach Sebastian Kneipps Konzept geht es bei der Bewegung nicht um totale Verausgabung, sondern um eine vernünftige Anstrengung. Welche Art von sportlicher Aktivität man bevorzugt, sei dabei nicht von Bedeutung – vielmehr spielen Regelmäßigkeit und Freude eine wichtige Rolle. Dem Wasserdoktor war zudem die Regeneration nach dem Sport wichtig, weshalb er muskelentspannende Bäder und Pausen empfahl.

Früher wie heute

Über die dritte Säule, die Ernährung, sagte Kneipp einst: „Die Nahrung soll einfach und naturbelassen sein, aber schmackhaft.“ Für ihn stand fest: essen und genießen gehört zusammen. Von radikalen Diäten und Verboten hielt er nicht viel. Die meisten Nahrungsmittel und Essgewohnheiten, die Kneipp vorschlägt, werden heute noch bei gesunder Ernährung zu sich genommen. Dazu zählen Brot aus Vollkorn, viel Obst und Gemüse sowie wenig Salz und Zucker. Zudem stehe regelmäßiges Essen im Vordergrund: anstatt zweimal am Tag ausgiebig zu schlemmen, sollte man lieber drei- bis viermal kleinere Portionen zu sich nehmen.

Laut der Lehren des Pfarrers ist gegen fast jedes Leiden ein Kraut gewachsen – wortwörtlich. Egal ob in Tinkturen, Tees, Salben oder Essenzen: Der Kräuterpfarrer fand sowohl für die innere als auch die äußere Anwendung eine Einsatzmöglichkeit für grüne Schätze der Natur. Kamille wirkt entzündungshemmend und krampflösend. Baldrian beruhigt die Nerven, während Arnika viele Sportler kennen: die gelbe Blume lindert Beschwerden von Prellungen bis hin zu Muskelbeschwerden.

Work-Life-Balance ist mittlerweile in aller Munde, und Kneipp wusste schon vor knapp 200 Jahren, dass Glücklichsein und Achtsamkeit mindestens genauso wichtig für das Immunsystem sind, wie die restlichen vier Säulen. Denn nur wenn das Innere gesund ist, ist es auch der Mensch. Mit der letzten Säule solle man lernen, auf allen Ebenen des Lebens Gleichgewicht herzustellen. Meditation, autogenes Training sowie Yoga sollen dabei helfen.

Das Schöne an den fünf Säulen: sie lassen sich einfach in den Alltag integrieren. Nach Feierabend spazieren zu gehen, kombiniert die Bewegung und das Abschalten der Gedanken, und kommt man an einem Bach vorbei, gleich noch das Wasser dazu. Kochen muss man sowieso, weshalb nicht gleich gesund? Und abends, anstelle von Rotwein, eben der Griff zum Kräutertee. Wohl bekomm’s. Maricci King

Der Kneipp‘sche Espresso: ein Armbad

Die „Tasse Kaffee der Naturheilkunde“ ist ein natürlicher Wachmacher. Das Armbad regt an, aber nicht auf. Zu Beginn sollten Arme und Hände warm sein. Sind die Hände ohnehin schon kalt, ist dringend davon abzuraten, ein kaltes Bad durchzuführen.

Füllen Sie Ihr Waschbecken mit kaltem Wasser (12 bis 18 Grad Celsius) und tauchen Sie die Arme bis zur Mitte der Oberarme ein. Nach 30 Sekunden – falls die Kälte schmerzt, früher beenden. Wasser abstreifen, nicht abtrocknen. Arme bewegen bis ein Wärmegefühl eintritt.

Tipp: Bevor Sie sich das Wasser von den Armen streifen, können Sie Ihren Nacken sanft damit benetzen. Das ist besonders erfrischend, denn hier liegt das Herz-Kreislauf- und Atemzentrum.