Immunsystem des Krankenhauses
Ein Beruf mit vielen Schnittstellen: Krankenhaushygieniker Dr. Matthias Sauter und Dr. Jürgen Lembke erzählen von einem breiten Tätigkeitsspektrum
Allgäu. Die Prävention, also die Vermeidung von Infektionen, spielt in Kliniken eine große Rolle und Krankenhaushygiene gehört zu den Dauerthemen in deutschen Kliniken. Hygienepläne erstellen, Analysen von bakteriologische Proben und Schulungen von Mitarbeitern sind nur einige der vielen Tätigkeiten eines Krankenaushygienikers. Dr. Matthias Sauter, Ärztlicher Leiter der Abteilung Hygiene und Infektiologie im Klinikum Kempten und Dr. Jürgen Lembke, Arzt für Krankenhaushygiene in der m&iKlinikgruppe Enzensberg, erzählen von der breiten Spanne ihres Berufs.Worin unterscheiden sich Krankenhaushygieniker, Hygienefachkräfte und Hygienebeauftragte?Dr. Jürgen Lembke: Der Unterschied besteht in der jeweiligen Ausbildung und damit in anderen Aufgabenbereichen. Hygienefachkräfte sind Pflegefachkräfte mit mehrjähriger Berufserfahrung und einer zweijährigen Weiterbildung in Vollzeit zur Hygienefachkraft. Es gibt hygienebeauftragte Ärzt:innen sowie hygienebeauftragte Pflegefachkräfte, die einen einwöchigen Kurs besucht haben. Hygienefachkräfte haben eine zentrale Aufgabe bei der Erstellung von Hygieneplänen und der Überwachung deren Einhaltung, der Beratung aller Berufsgruppen, der Erfassung und Bewertung von Krankenhausinfektionen, der Durchführung von Umfelduntersuchungen sowie Aufklärung und Management von Ausbrüchen. Hygienebeauftragte Ärzt:innen und Pflegekräfte unterstützen bei der Umsetzung hygienischer Vorgaben durch enge Kommunikation mit ihren jeweiligen Berufskollegen vor Ort.
Was sind die Aufgaben eines Hygienikers?
Dr. Matthias Sauter: Das Tätigkeitsspektrum ist sehr breit gefächert. Die wichtigste Aufgabe ist es, die Krankenhausleitung in allen Fragen der Krankenhaushygiene und Infektionsprävention zu beraten. Das Wissen hierzu basiert auf fortlaufenden Analysen von wissenschaftlichen Publikationen, internationalen und nationalen Leitlinien sowie bundes-, landes- und regionalen Regelungen. Zudem erarbeite ich einrichtungsspezifische Präventions- und Kontrollstrategien und analysiere fortlaufend Zahlen, um Infektionen zu kontrollieren und bestmöglich zu prävenieren. Des Weiteren wirken Hygieniker bei der Planung von Baumaßnahmen mit.
Dr. Lembke: In jeder Klinik gibt es bestimmte Bereiche, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Dies ist in der m&i-Fachklinik Enzensberg die neurologische Früh-Reha-Station, auf der schwerstbetroffene neurologische Patient:innen versorgt werden, bei denen das Risiko einer Infektion mit einem Krankenhauskeim besonders hoch ist. Weiterhin ist jahreszeitlich mit dem Auftreten von bestimmten Infektionen wie Noro oder Influenza zu rechnen.
Welche Tätigkeit ist die interessanteste?
Dr. Lembke: Am interessantesten für mich ist die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiter:innen, also die Vermittlung von krankenhaushygienischen Kenntnissen und Vorbeugungsmaßnahmen.
Dr. Sauter: Das breite Spektrum an Aufgaben macht die Arbeit besonders reizvoll. Zudem ist man durch die Bandbreite an Aufgaben und neuen Erkenntnissen gezwungen, sich permanent mit Neurungen befassen zu müssen, was den Arbeitsalltag spannend macht. Man muss sich mit fachlichen Fragen aus allen Betriebsbereichen beschäftigen, was eine abwechslungsreiche Herausforderung ist
Wie hat sich das Aufgabenfeld seit Corona verändert?
Dr. Lembke: Vor Corona bestand meine Arbeit darin, täglich zu kontrollieren, ob Infektionen aufgetreten sind, mikrobiologische Befunde zu kontrollieren, Anfragen zu beantworten und Mitarbeiter:innen in Zusammenarbeit mit unserer Hygienefachkraft, Ina Krötz, zu schulen.
Corona hat das Aufgabenfeld deutlich verändert. Es gilt einerseits, eine Vielzahl sich nahezu täglich ändernder Regelungen zu beachten, bekannt zu machen, in den Alltag umzusetzen und deren Einhaltung zu überwachen. Andererseits ist soweit als möglich ein regulärer Klinikbetrieb zu ermöglichen. Es gilt die zahlreichen Anfragen der Kolleg:innen zu Corona und den Impfungen zu beantworten.
Durch die allgemeinen Hygienemaßnahmen sind die ansonsten häufig auftretenden Infektionen wie Noro, Influenza oder sonstige grippale Infekte drastisch zurückgegangen und spielen im Infektionsgeschehen aktuell kaum eine Rolle in unserer Klinik.
Wurde der Beruf durch die Pandemie politischer?
Dr. Sauter: Geändert hat sich nach meiner Einschätzung vor allem die Wahrnehmung. Die Beratung der Krankenhaushygieniker wird gefühlt öfter in Anspruch genommen und unsere Meinung hat einen höheren Wert erlangt. Durch die Verankerung von Themen der Infektionsprävention im Infektionsschutzgesetz und in landesrechtlichen Verordnungen war die Arbeit allerdings schon immer auch politisch. Doch die Schlagzahl und Intensität der Veränderungen durch neue Erkenntnisse war vor COVID-19 nicht so hoch
So ist es beispielsweise auch gesetzlich geregelt, dass die Kliniken die Funktion des Krankenhaushygienikers besetzen müssen. Die Pandemie hat nach meiner Einschätzung gezeigt, wie wichtig und vorrausschauend diese Festlegung war. Es ist in vielen Fällen sinnvoll, einen Hygieniker direkt vor Ort zu haben, der die Struktur der Klinik und handelnde Personen aus der Innenansicht kennt und nicht nur ein paar Mal im Jahr von extern kommt.
Wie haben sich Krankenhausinfektionen entwickelt – hat sich das Problem verschärft?
Dr. Lembke: Der Begriff Krankenhausinfektion beschreibt zunächst einmal wertfrei und damit ohne Zuweisung irgendeines Verschuldens das Auftreten einer Infektion im zeitlichen Zusammenhang mit einer Krankenhausbehandlung.
Die Entwicklung der modernen Medizin, die es erlaubt, schwer kranke Patient:innen mit intensivmedizinischen Maßnahmen, Chemotherapie, Organtransplantationen usw. erfolgreich zu behandeln, bringt es mit sich, dass größere Operationen, lebenserhaltende und lebensunterstützende Maßnahmen wie zum Beispiel künstliche Beatmung oder künstliche Ernährung durchgeführt werden.
Hierbei besteht das Risiko, dass Keime, die die:der Kranke bereits bei Aufnahme in das Krankenhaus in oder an sich trägt, zu einer Infektion führen. Aber es kann auch zu von außen an die:den Kranke:n herangeführten Infektionen kommen. Eine Veröffentlichung im Ärzteblatt von 2017 hat die Rate an Krankenhausinfektionen 2016 und 2011 verglichen, hierbei wurde eine Verminderung von Krankenhausinfektionen um etwa 10% festgestellt.
Die Bezeichnung als „Krankenhauskeim“ ist zunächst einmal so nicht zutreffend. Aktuelle Daten zeigen, dass Besiedelungen oder Infektionen mit z.B. MRSA überwiegend bereits bei Aufnahme im Krankenhaus vorhanden sind. Allerdings können die multiresistenten Keime wie MRSA in Krankenhäusern besondere Probleme bei der Behandlung bereiten, da dann nur noch wenige Antibiotika zur Behandlung zur Verfügung stehen. Denn viele Keime sind leider schon gegen die Medikamente resistent.
Dr. Sauter: Das Problem multiresistenter Keime wird uns leider dauerhaft begleiten. Antibiotika werden oft zu häufig und zu breit eingesetzt und Antibiotikaresistenzen nehmen weltweit zu. Daher spielt die Antibiotic Stewardship Initiative, kurz ABS, eine immer wichtigere Rolle. Unter ABS versteht man den verantwortungsvollen oder rationalen Umgang mit antimikrobiellen Wirkstoffen.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den Einsatz von Antibiotika genau zu dokumentieren, zu beobachten und immer weiter zu optimieren – wie lange wird welche Substanz bei welcher Behandlung verabreicht? Das Ziel hierbei ist es, Antibiotika möglichst passgenau einzusetzen, Infektionen vorzubeugen und Resistenzen bei den Bakterien zu verhindern – und dabei die Patienten bestmöglich zu behandeln.
Erfolgreich konnte bei uns beispielsweise durch den gezielten Antibiotikaeinsatz die Zahl von Clostridieninfektionen halbiert werden. Clostridium difficile (auch: Clostridioides difficile) ist ein Darmbakterium und eine häufige Ursache von Antibiotika-assoziiertem Durchfall.
Bei gesunden Menschen ist dieses Bakterium meist ein harmloses Darmbakterium, das keine Probleme bereitet. Wird allerdings die Darmflora durch eine Gabe von Antibiotika gestört, kann das Bakterium teilweise sehr schwer krank machen. Da bestimmte Antibiotika in besonderem Maße eine Infektion durch Clostridiodes difficile befördern, kann durch eine Veränderung im Verordnungsverhalten Einfluss genommen werden.
In unserem Klinikverbund wurden viele Ärzte zu antibiotikabeauftragten Ärzten ausgebildet, um das Wissen in die Abteilungen hineinzutragen. Im ABS-Team erarbeiten wir Standards zur Antibiotikatherapie, um somit den Patienten eine bessere Behandlung bieten zu können. Insgesamt wird die Infektionsmedizin mit klinischer Infektiologie und Krankenhaushygiene weiter an Bedeutung gewinnen.
Wie wird man Hygieniker?
Durch die Ausbreitung der sogenannten Krankenhauskeime in den letzten Jahrzehnten sah die Politik verstärkt die Notwendigkeit der krankenhaushygienischen Betreuung. Auch werden die Ausbildung und Einstellung eines Infektiologen stärker gefördert. Darüber hinaus wurde beim letzten deutschen Ärztetag beschlossen, das Fachgebiet durch die Einführung eines Facharztes für Innere Medizin und Infektiologie aufzuwerten
Durch Erlangen einer Facharztqualifikation (FA für Hygiene und Umweltmedizin oder FA für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, wobei eine mind. 2-jährige spezifische krankenhaushygienische Tätigkeit vorgesehen ist
Qualifikation in Antibiotik Stewardship sinnvoll
Facharzt in einem Fach der Patientenversorgung
Als Facharzt in einem klinischen Fach mit curricularer Fortbildung
Medizinstudium
Curriculare Fortbildung (Curriculum der Bundesärztekammer): 200 Stunden theoretische Fortbildung, 7 Wochen Hospitationen (u.a. Krankenhaushygienisches Labor, Gesundheitsamt, Fallkonferenzen, mind. 2-jährige Tätigkeit als hygienebeauftragter Arzt unter Supervision in mind. 50% Prüfung
Von Maricci King