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Leder & Leidenschaft - Design, Detail und Tradition

  

handwerk hautnah erleben Vol.II Ledermanufaktur Fotos: Max Hohenegger

handwerk hautnah erleben Vol.II Ledermanufaktur Fotos: Max Hohenegger

Bewegte 65 Jahre hat die Lederwarenmanufaktur in Berkheim hinter sich gebracht. Früher wirtschaftlicher Erfolg, dann der große Einbruch. Heute ist das Unternehmen kleiner als zu Hochzeiten, hat aber trotz der Konkurrenz aus Fernost überlebt und kann positiv in die Zukunft sehen.

Ich steige aus dem Auto und trete in eine Pfütze. Es ist ein regnerischer Februartag. Das Wetter stört mich nicht, denn eine spannende Geschichte wartet hinter den Mauern der Manufaktur auf mich. Als ich über die Schwelle des länglichen Gebäudes trete, höre ich es gedämpft: das Klappern von Nähmaschinen, das Hämmern und das Stanzen. Trotz der Maschinen ist hier beinahe alles echtes Handwerk mit einer langen Tradition und wahren Leidenschaft für Qualität. In einem länglichen Konferenzsaal, in dem allerlei Taschen, Geldbörsen und andere Produkte ausgestellt sind, warte ich auf Hubert Göppel, Inhaber der Lederwarenmanufaktur Göppel. Heute darf ich ihm über die Schulter blicken und die Produktion eines Werkstücks verfolgen. Zudem lerne ich, wie sich der Familienbetrieb als David gegen den Goliath der Billigprodukte aus Fernost gestemmt hat und bis heute sein Überleben sichern konnte.

Schwerer kann man sich einen Start nicht vorstellen. Als Hubert Göppel das Unternehmen 1995 übernahm, hatte er 80 Mitarbeiter und kaum Einnahmequellen. Die über 800 Lederwarengeschäfte bezogen inzwischen die billigen Produkte aus Fernost, Großkunden verschoben ihre Produktion ins Ausland. Heute gibt es in der Region nur noch ein Lederwarenfachgeschäft, aber die Manufaktur hat überlebt und arbeitet im Jahr 2021 mit 15 Mitarbeitern weiter.

15 Einzelteile hat der Kartenhalter mit Münzfach, dessen Fertigung ich heute begleiten darf. Ungefähr 70 bis 80 einzelne Arbeitsgänge durchlaufen die Rohmaterialien, bis man den Kartenhalter fertig in der Hand halten kann. Zum Vergleich: ein Herren Portemonnaie hat schnell 50 Einzelteile und dementsprechend mehr Arbeitsschritte. Viele Menschen wüssten nicht mehr, wie viel Arbeit in den Dingen steckt, erklärt Hubert Göppel. Sie kauften nur nach Preis und Qualität würde oft hintenangestellt. Auch mit den schrecklichen Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern würden sich die meisten nicht auseinandersetzen.

Es beginnt mit dem Stanzen. Das Leder für unseren Kartenhalter wird unter die Stanzmaschine gelegt. Die Stanzform, die sehr an einen Plätzchenaustecher erinnert, drückt sich durch das Leder. Aus dem großen Lederstück sind die Einzelteile geworden, die aber für die Weiterverarbeitung zu dick sind. Das Leder muss „gespalten“ werden. Eine Maschine trennt die Lederstücke wie eine Brotmaschine. Die verbleibende Oberschicht hat nun die richtige Stärke. Beim „Schärfen“ werden noch die Kanten, die später umgeschlagen werden, weiter verdünnt. Anschließend verkleben die Mitarbeiter die ersten Teile, und Nieten werden angebracht.

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Inhaber Hubert Göppel zusammen mit seiner Frau Gerda, die ebenfalls in der Lederwarenmanufaktur mitarbeitet.
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Das Unternehmen hat dank Hubert Göppel eine neue Ausrichtung gefunden, mit der es bis heute überleben konnte. In der Manufaktur werden unter anderem für größere Firmen aus der Region Produkte hergestellt, die diese an ihre Mitarbeiter oder Kunden verkaufen und verschenken. Von der schicken Aktenmappe über unseren Kartenhalter bis zum Schlüsselmäppchen hat die Manufaktur alles im Angebot. Sogar die Polizei Baden-Württemberg hat sich nach langer Ausschreibung und einem strengen Auswahlverfahren dazu entschlossen, hier die Etuis für die Dienstausweise der Polizisten fertigen zu lassen.

Die vorbereiteten Lederstücke kommen vom Erdgeschoss in den ersten Stock der Manufaktur. Hier findet die „Endmontage“ statt. Es wird umgeschlagen, verklebt, alles von Hand. Dann die Teile miteinander vernäht, wieder geklebt und so weiter, bis am Ende unser fertiger Kartenhalter zum Verpacken bereit ist. Die Boxen dafür stellt das Unternehmen selbst her.

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Mit einer speziellen Maschine werden die Nieten am Werkstück befestigt.
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Neben eingesessenen Wirtschaftsunternehmen kommen in letzter Zeit auch junge, frische Start Ups auf die Manufaktur zu. So ein gelernter Schreiner aus Illertissen, der ein sehr dünnes und flexibles Holzfolier entwickelt hat. Dieses verwendet er, um Taschen einen einzigartigen Look zu verleihen. Nachdem der junge Designer mit Produzenten aus Fernost keine guten Erfahrungen gemacht hat, entschied er sich für die Manufaktur in der Region. Echtes Handwerk zahlt sich einfach aus. Diese neuen Projekte zeigen das spannende am Lederhandwerk. Stillstand gibt es nicht. Neue Materialien, neue Designs, neue Geschäftskunden, natürlich immer in Verbindung mit dem klassischen Handwerk. So arbeitet man in Berkheim inzwischen auch mit veganen Alternativen zum Leder. Fasziniert streiche ich über eine Taschen aus Ananasleder. In anderer Hinsicht sieht die Zukunft in der Manufaktur ebenfalls gut aus.

Mehr junge Menschen interessieren sich wieder für eine Ausbildung zum Sattler mit der Fachrichtung Feintäschnerei. Die Auszubildenden messen sich mit Azubis aus anderen Betrieben. Hierbei sind sie bei den Landes- und Bundeswettbewerben erfolgreich und stehen regelmäßig auf dem Treppchen. Der Lohn einer guten Ausbildung.

Wir verlassen den Fertigungsraum und kehren zurück in den länglichen Besprechungssaal, in dem ich meine Erkundungstour begonnen habe. Lederverarbeitung würde immer seltener werden, erklärt mir Hubert Göppel. Die meisten Betriebe würden nur noch wenige Schritte in Deutschland durchführen lassen, um das begehrte „Made in Germany“ auf ihre Produkte pressen zu dürfen. Der größte Anteil der Arbeiten würden im Ausland getätigt.

„Bei uns steht nicht das Wirtschaftliche, sondern die Liebe zu Handwerk und Detail im Vordergrund“, sagt Hubert Göppel zum Abschluss. Ich verlasse die Manufaktur und stapfe zurück durch die Pfützen eines verregneten Februartages. Ich habe mehr Respekt für Dinge und für die Arbeit, die in ihnen steckt. Während ich diese Worte schreibe, liegt mein frisch gekauftes Portemonnaie aus Berkheim auf dem Schreibtisch. Dieses hat die Pressung „Made in Germany“ wirklich verdient. Max Hohenegger