Leben

Das was jetzt ist, ist wichtig

Eine sinnvolle Herzensaufgabe: Susanne Hofmann über Menschlichkeit in der letzten Lebensphase

„Wir sind definitiv ein bunt gemischter Haufen!“ Gabriel Jörg (Pflegefachkraft), Susanne Hofmann (Hospizleitung). Dr. Eva Rünker (Pflegedienstleitung), Silke Pobo (Verwaltungsfachkraft) und Tina Kunkel (Pflegefachkraft) stehen stellvertretend für das ganze Team. Foto: Maricci King

„Wir sind definitiv ein bunt gemischter Haufen!“ Gabriel Jörg (Pflegefachkraft), Susanne Hofmann (Hospizleitung). Dr. Eva Rünker (Pflegedienstleitung), Silke Pobo (Verwaltungsfachkraft) und Tina Kunkel (Pflegefachkraft) stehen stellvertretend für das ganze Team. Foto: Maricci King

Eine Etage tiefer, im Erdgeschoss des Hospizes, hört man an diesem Nachmittag Gelächter. Im Begegnungs- und Speiseraum der Hospizstation falten zwei Gäste, so werden Patienten im Hospiz genannt, Geschirrtücher. „Ach, die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen hier sind gar nicht so schlecht“, sagt eine Bewohnerin lachend. Humor, auch in der letzten Lebensphase, das ist wünschenswert. Im AllgäuHospiz ist es den Mitarbeitern und Trägern ein besonderes Anliegen, den Gästen gerade am Lebensende ein vertrautes und wohliges Umfeld zu schaffen.Hospizleiterin Susanne Hofmann trägt mit ihrer Arbeit dazu bei, dass das Hospiz ein solcher Ort ist. Die gelernte Krankenschwester schätzt besonders die Arbeit ihres Teams. „Alle Gäste werden wertschätzend und gleichbehandelt – ganz egal, welche Herkunft, welcher Hintergrund sie begleitet.“ Schnell hat sie das Gefühl gehabt: „Ja, das ist das Richtige für ich. Ich arbeite an einem Ort, an dem ich mich wohlfühle und habe hier meine sinnvolle Herzensaufgabe gefunden.“

Menschlich begleiten

Die zwölf Gästezimmer spiegeln den Leitgedanken des AllgäuHospizes wider: dem Gast in der verbleibenden Zeit ein erfülltes Leben zu ermöglichen. Durch große Fenster scheinen Sonnenstrahlen in die Zimmer. Zudem lassen sie sich komplett öffnen, sodass selbst Gäste im Bett liegend Zeit auf der Terrasse und in den angrenzenden Atriumgärten genießen können. „Unsere Gäste und deren Angehörige haben teilweise einen schweren Weg vor sich. Wir helfen ihnen dabei, diesen so angenehm und gut und angenehm wie möglich begehbar zu machen“, sagt Susanne Hofmann.

Möglich ist dies vor allem durch die Zusammenarbeit im Team. Verwaltung, Pflege, Hauswirtschaft und Reinigung – alle arbeiten Hand in Hand. „Das Schöne hier bei uns ist, dass nicht jeder einfach vor sich hinarbeitet, sondern ein Austausch untereinander stattfindet“, sagt Susanne Hofmann. „Für ein Gespräch mit Gästen nimmt sich jeder Mitarbeiter gern die Zeit, sodass zwischenmenschliche Begegnungen Platz finden“, sagt Susanne Hofmann. „Unser Team ist in den letzten Jahren auch durch neue gesetzliche Vorgaben, Arbeitszeitverkürzung und die Erweiterung, immer mehr gewachsen,“, sagt Susanne Hofmann. Vor 13 Jahren, zu Beginn ihrer Arbeit, waren es noch 16 Mitarbeitende, heute sind es 35 Hauptamtliche, die im AllgäuHospiz tätig sind.

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Rituale helfen bei Trauer

Wut, Trauer, Machtlosigkeit oder Angst – in ihrer Arbeit werden die Haupt- und Ehrenamtliche oft mit Emotionen konfrontiert, die wir normalerweise scheuen. Damit diese Gefühle nicht überhandnehmen oder gar mit nach Hause genommen werden, ist es wichtig zu lernen, damit umzugehen. „Wir schaffen uns im Team gemeinsame Rituale“, sagt Susanne Hofmann. Stirbt ein Gast, zünden sie Kerzen an und hängen einen Trauerflor an die Zimmertür. Zudem gedenken sie gemeinsam mit einem Seelsorger einmal die Woche den verstorbenen Gästen.

Alle Mitarbeitende ziehen sich direkt in der Arbeit um und können duschen, bevor sie nach Hause fahren. Auch das kann als Ritual gesehen werden. So streifen sie die Emotionen, die Trauer und Ängste symbolisch ab. Susanne Hofmann nutzt die Heimfahrt zum Distanzieren: „Auf der Autofahrt lasse ich meine Gedanken schweifen und komme so zur Ruhe.“

Zeit, zur Ruhe zu kommen

Viel Positives nimmt Susanne Hofmann mit in ihren Alltag. „Durch meine Arbeit bin ich mir der Endlichkeit sehr bewusst.“ Dieses Bewusstsein überträgt sie auf viele Lebensbereiche. So versucht sie, das was das Leben einem schenkt, anzunehmen und Dinge nicht aufzuschieben, sondern zeitnah zu tun. Man lernt, die Menschen um sich herum zu schätzen.

Bedeutung von hier und jetzt

„Ganz wichtig ist es mir außerdem, Konflikte direkt zu lösen und ich gebe mir Mühe, mit niemandem zerstritten zu sein“, sagt sie. Wie wichtig vor allem letzteres ist, sieht sie immer wieder in der finalen Lebensphase einiger Gäste. Viele finden erst Ruhe, wenn alle Unstimmigkeiten und Streitereien geklärt sind. Diese Zeit ist auch für die Angehörigen besonders intensiv. Es wird erinnert, gelacht und geweint – und immer wieder sieht Susanne Hofmann, wie wertvoll diese Familienzeit ist. „Die gemeinsame Sorge um den Gast, das gemeinsame Erleben und Verarbeiten bringt viele Familien neu oder intensiver zusammen.“

Auf dem hellen Flur begegnet Susanne Hofmann wieder den zwei Gästen. „Ja sagen Sie, wo haben Sie dieses Outfit her?“ wird sie gefragt. „Das werde ich mir auch noch kaufen!“ Ob sie dafür noch Zeit hat, spielt für die Bewohnerin absolut keine Rolle. „Das, was genau jetzt wichtig und präsent ist, ist von viel größerer Bedeutung als das, was vielleicht nicht mehr ist“, sagt Susanne Hofmann und tauscht sich weiter mit den Gästen über Modetrends aus.

Der Raum des Lebens

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Bunte Lichtpunkte fallen auf den Boden auf dem Flur. Durch das farbige Glaselement in der Tür werden die Sonnenstrahlen zu kleinen Regenbögen.

Der Künstler Martin Knöferl gestalte den Raum des Lebens. Dieser Ort soll allen unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden. Lachen und weinen; schweigen und reden; Leid und Freude, Trauer und Hoffnung. Ganz gleich, was Gäste, ihre Angehörige und das Personal suchen – im Raum des Lebens ist Platz für Emotionen, Platz, um zur Ruhe zu kommen. In einer kleinen Sitzecke vor dem Raum können Besucher lesen oder in einem der Erinnerungsbücher für verstorebene Gäste blättern.

„Mir von der Seele schreiben“ ist in den Wandschreibtisch am Rande des Raums eingeschnitzt. Ängste, Sorgen oder Wünsche können hier aufgeschrieben werden. Die Zettel mit den zu Wort gebrachten Gedanken können die Verfasser in ein Glaselement in der Mitte des Raumes legen. Sich stärken und Hoffnung finden, das ist im Raum des Lebens möglich.