Leben

Volkskrankheit Rückenschmerzen

Chefarzt Dr. Christian Kranemann klärt im Interview Ursachen und Therapiemöglichkeiten

Sport-/Bewegungstherapie (z. B. Tai Chi) in der Fachklinik Enzensberg Fotos: Fachklinik Enzenzberg

Sport-/Bewegungstherapie (z. B. Tai Chi) in der Fachklinik Enzensberg Fotos: Fachklinik Enzenzberg

Rückenschmerzen zählen zu den Volkskrankheiten, da nahezu 80% aller Mitteleuropäer:innen einmal in ihrem Leben an Rückenschmerzen leiden. Die Ursachen von Rückenschmerzen sind so zahlreich, wie es auch Behandlungsmethoden gibt. Eine der Hauptursachen für Rückenschmerz ist der Bewegungsmangel. Schwere körperliche Tätigkeiten sind immer seltener zu finden, während die Arbeit in sitzender Haltung im Büro am Computer häufig mit „Zwangshaltungen“ zunimmt. Negativ wirken sich zudem eine zu hohe Arbeitsbelastung, Zeitdruck und Unzufriedenheit am Arbeitsplatz sowie Zukunftsängste im beruflichen und familiären Umfeld aus.Der Chefarzt des Kompetenzzentrums für akuten Rückenschmerz der m&i-Fachklinik Enzensberg, Dr. Christian Kranemann, behandelt seit über 20 Jahren Patient:innen mit Rückenschmerzen. Er weiß, welche Ursachen und Therapien gegen die Volkskrankheit helfen. 

Volkskrankheit Rückenschmerzen -2
Volkskrankheit Rückenschmerzen -3
Chefarzt Dr. Christian Kranemann

Herr Dr. Kranemann, wirkt sich auch Stress negativ auf unseren Rücken aus?

Wenn wir von Stress sprechen, meinen wir in erster Linie den „negativen Stress“, der durch verschiedene Faktoren hervorgerufen wird, wie z. B. zu hohe Arbeitsbelastung, Zeitdruck und Unzufriedenheit am Arbeitsplatz sowie Zukunftsängste.

Werden diese Stressoren auf Dauer nicht abgebaut oder bestehende Konflikte gelöst, schüttet der Körper Stresshormone aus, die mit einer vegetativen Reaktion des Körpers einhergehen. Vermehrter Herzschlag, Steigerung des Blutdrucks, Erhöhung der Muskelaktivität sind die Folge.

Durch sportliche Aktivität wäre der Körper in der Lage, die Stressoren abzubauen und in einer anschließenden Ruhephase ein Gleichgewicht zu finden. Bleibt der Dauerstress jedoch bestehen, kommt es zu einer inneren Anspannung der Rückenmuskulatur mit Überlastung und muskulären Verspannungen und Reizung der Nervenbahnen.

In nahezu 80% der Fälle finden sich keine Ursachen für den Rückenschmerz, d. h. die:der Arzt:in findet keine körperlichen Veränderungen an der Wirbelsäule und ihren Strukturen. Wir sprechen dann von unspezifischen Rückenschmerzen, welche in der Regel keiner spezifischen Therapie bedürfen.

Bei den spezifischen Rückenschmerzen, zu denen Bandscheibenvorfälle, Entzündungsreaktionen oder Wirbelkanalverengungen gehören, kommt es in vielen Fällen zu einem fortgeleiteten Schmerz in die oberen oder unteren Extremitäten mit entsprechenden Taubheitsgefühlen oder Missempfindungen. In solchen Fällen ist ein:e Arzt:in aufzusuchen.

Worauf muss man am Arbeitsplatz achten, um eine Fehlbelastung zu vermeiden?

Günstig ist ein höhenverstellbarer Arbeitstisch mit einer optimierten Arbeitshöhe zwischen 68 und 76 cm. Der Arbeitsstuhl sollte ergonomisch ausgerichtet sein, sodass dynamisches Sitzen (Rückenlehne bewegt sich mit und stützt) möglich ist.

Wer ständig den ganzen Tag am Computer sitzt und Tastatur und Mouse bedienen muss, profitiert von einer Entlastung der Handgelenke durch spezielle Handauflageflächen für Keyboard und Mousepad. Daneben erleichtert ein Headset Vieltelefonierer:innen die Arbeit, da es sonst bei längeren Telefonaten zu einer vermehrten Seitneigung der Halswirbelsäule kommt. Auch der Wechsel von einer sitzenden zu einer stehenden Position bei Nutzung eines Stehpultes wirkt sich positiv aus.

Die Blickachse sollte gerade bzw. leicht nach unten auf den Bildschirm ausgerichtet sein. Liegen die Arme auf dem Schreibtisch auf und benutzen die Tastatur, sollten Ober- und Unterarm einen 90-Grad-Winkel bilden. Die Füße stehen fest auf dem Boden, die Knie bilden ebenfalls einen rechten Winkel. Wichtig ist, immer wieder zu kontrollieren, ob der Kopf beim Arbeiten nach vorne wandert.

Viele Menschen sitzen seit Monaten im Homeoffice vor ihrem aufklappbaren Computer.

Genau. Der Laptop ist mit seinem aufgeklappten Bildschirm auf einem normalen Tisch nicht optimal positioniert. Meine Empfehlung lautet, den Laptop zumindest ein wenig höher zu stellen, um den Nacken zu entspannen. Meist wird es dann aber schwierig, die Tastatur ordentlich zu bedienen. Wer längere Zeit im Homeoffice arbeitet, sollte deshalb einen externen Bildschirm und eine externe Tastatur anschließen, die man auf seine ergonomischen Bedürfnisse ausrichten kann.

Wie kann ich meinen Alltag rückenfreundlich gestalten?

Am wichtigsten ist die Bewegung, um die Wirbelsäule funktionstüchtig zu erhalten. Die Höhe verschiedener Arbeitsflächen (Küche, Hobbyraum) sollte der Körpergröße angepasst sein.

Im Haushalt sollten rückengerechte Haushaltsgeräte mit Teleskopstiel verwendet werden. Einseitig lang andauernde Arbeitshaltungen mit nach vorne gebeugtem oder rotiertem Oberkörper bedeuten eine verstärkte Belastung für die Rückenmuskulatur. Hier sollte zwischenzeitlich immer wieder die Körperhaltung verändert werden.

Was kann ich tun, wenn ich akute Rückenschmerzen habe?

Gering ausgeprägte Beschwerdebilder lassen sich gut ambulant behandeln. Für starke Schmerzen mit erheblichen Funktions- und Aktivitätseinschränkungen stehen operative und nicht-operative stationäre Behandlungsangebote zur Verfügung, auf die wir uns in der Fachklinik Enzensberg spezialisiert haben. Es geht aber auch weniger um ein „entweder oder“, sondern vielmehr um eine individuelle Problemlösung. Die konservative Therapie sollte mit Ausnahme von Notfallsituationen immer am Anfang der Behandlung stehen. Man erreicht damit gute Ergebnisse.

Zusammen mit den Patient:innen versuchen wir den Schmerz zu lokalisieren. Hierbei stellen wir Fragen wie z. B. wann und wo der Schmerz auftritt, wie stark der Schmerz empfunden wird und ob er stechend, ziehend, brennend ist oder eine andere Schmerzqualität aufweist. Auch die Information „Wie weit der Schmerz in den Arm oder ins Bein ausstrahlt“, ist für uns wichtig. Häufig berichten mir Patient:innen auch über Taubheitsgefühle oder Kribbeln in den Fingern oder Zehen. All dies gibt Aufschluss über die mögliche Höhe des Bandscheibenvorfalls. Eine Überprüfung des Bewegungsmusters und der Nerven ergänzt die Untersuchung. Zusätzlich können Röntgenaufnahmen oder MRT/CT-Untersuchungen zur genauen Lokalisation des Bandscheibenvorfalls beitragen.

Die Behandlung eines solchen akuten Bandscheibenvorfalls oder einer Nervenenge sollte in erster Linie konservativ erfolgen. Bei der sogenannten Infiltrationsbehandlung injizieren wir mithilfe eines Röntgen-Bildwandlers entzündungshemmende Medikamente und örtliche Betäubungsmittel direkt an die schmerzverursachenden Stellen der Wirbelsäule. Dies wird unterstützt durch Schmerzinfusionen und ein physiotherapeutisches Behandlungsprogramm. Der Eingriff dauert nur ein paar Minuten und konnte bei rund 79 Prozent unserer Patient:innen eine Operation wegen Rückenbeschwerden vermeiden.