Leben

„Impfen ist das Einzige, was wir dem Virus entgegensetzen können“

Interview mit Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek über die Lage der Allgäuer Krankenhäuser, Reha-Kliniken, das Pflegepersonal und den „Piks“ in Zeiten von Corona

In Zeiten von Corona ist Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek ein gefragter Politiker. Er wohnt mit seiner Familie in Memmingen. Fotos (3): Jürgen Rasemann

In Zeiten von Corona ist Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek ein gefragter Politiker. Er wohnt mit seiner Familie in Memmingen. Fotos (3): Jürgen Rasemann

Memmingen - Wer Klaus Holetschek in seinem CSU-Büro in Memmingen besucht, wundert sich über die spartanische Einrichtung und den riesigen Wandkalender aus dem Jahre 2020 im Besprechungszimmer. Als dieser aufgehängt wurde, dachte in Deutschland noch niemand an Corona. Während des Gespräches kann sich der bayerische Gesundheitsminister nicht von seinem Handy trennen. Stets fummelt er auf der Tastatur herum, liest eingehende Nachrichten. Das Mobiltelefon legt er nur zur Seite, wenn er mit beiden Händen bestimmte Zusammenhänge erklärt. Die Corona-Pandemie setzt Holetschek und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit Monaten gehörig zu. Bei Mineralwasser erklärt er, dass er sich – wie die meisten Menschen – auf seinen Sommerurlaub freue. „Aber an Freizeit ist momentan einfach nicht zu denken“, sagt der Politiker. Nach eineinhalb Jahren Corona hat sich bei vielen Bürgern erheblicher Unmut aufgestaut. Wer in den sozialen Medien stöbert, stößt auf Texte von Pseudoexperten, Querdenkern, Verweigerern, Egoisten und Urlaub-um jeden-Preismacher, die der Meinung sind, dass die Regierung in der Pandemie versagt hat. Sind Politiker tatsächlich so unfähig, wie sie in vielen Foren dargestellt werden? Gesundheitsminister Klaus Holetschek: Nein, wirklich nicht. Die Pandemie ist weltweit eine große Herausforderung für alle Menschen, nicht nur für Wissenschaftler, Ärzte und Politiker. Es gab kein Drehbuch, keine Blaupause gegen diese Pandemie. Wenn man sieht, was in anderen Ländern passiert, sind wir bisher gut durch diese Krise gekommen. Dass die Krankheit für viele Menschen zermürbend ist und jeder wieder ein Stück Normalität zurückhaben will, ist, so glaube ich, selbstverständlich.

Krankenhäuser

Wie ernst war die Lage in den Allgäuer Krankenhäusern? Der ehemalige Aufsichtsratschef des Allgäuer Klinikverbundes, Gebhard Kaiser, sprach von schwierigen Zeiten und schweren Einbußen.

Holetschek: Die Integrierte Leitstelle Allgäu war stark in die Versorgung von COVID-19-Patienten eingebunden. Besonders die Intensivkapazitäten wurden dadurch phasenweise stark beansprucht. Es standen oftmals nur noch wenige Intensivbetten zur Verfügung, sodass mitunter Patienten verlegt wurden. Zudem mussten geplante Eingriffe und OPs verschoben werden. Aber die Allgäuer Kliniken haben die großen Herausforderungen der Pandemie hervorragend gemeistert – das gilt auch für die anderen bayerischen Krankenhäuser.

Viele Krankenhäuser stecken schon seit Jahren in finanziellen Schwierigkeiten. Durch die Corona-Krise wird dieses Problem noch verschärft, weil für die Behandlung von Covid-19-Patienten viele Betten freigehalten und planbare Eingriffe zurückgestellt werden mussten. Allgäuer Klinikmanager gehen davon aus, dass trotz der Unterstützung von Bund und Ländern die Kliniken die Verluste kaum kompensieren können. Klaffen am Ende des Jahres rote Löcher in den Bilanzen der Kliniken?

Holetschek: Die Pandemie hat die Krankenhäuser generell vor große finanzielle und organisatorische Herausforderungen gestellt. Der Bund hat daher ein Bündel von Maßnahmen erlassen, die unterstützen sollen. Darunter sind insbesondere Ausgleichszahlungen für Leistungen, die aufgrund der Pandemie nicht erbracht wurden wie verschobene Operationen und freigehaltene Kapazitäten. Flächendeckende Erlösverluste konnten so größtenteils abgefangen werden. Es sind aber auch Krankenhäuser von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie betroffen, die keinen oder keinen durchgehenden Anspruch auf Ausgleichszahlungen haben. Wir haben uns daher auch für eine finanzielle Unterstützung für das Jahr 2021 eingesetzt.

Eine Umfrage unter Allgäuer Kliniken zeigt, dass die Belegungsquoten sehr unterschiedlich sind. Für den ehemaligen Aufsichtsratschef des Allgäuer Klinikverbundes, Gebhard Kaiser, heißt das, dass an einigen Stellen nachjustiert werden muss. Für „kleinere Kliniken“ sei Spezialisierung das Gebot der Stunde. Wie kann diese Spezialisierung aussehen?

Holetschek: Hier gibt es keine Patentrezepte oder allgemein gültige Festlegungen. Im Einzelfall hängt die Spezialisierung davon ab, in welchen medizinischen Bereichen das leitende ärztliche Personal fachliche Entwicklungsmöglichkeiten sieht – was auch maßgeblich vom Vorhandensein und der fachlichen Ausrichtung umliegender Häuser abhängt. Spezialisierungen sind zum Beispiel in der Akutgeriatrie, den verschiedenen Feldern der Inneren Medizin, aber auch in der Chirurgie und der Orthopädie denkbar.

Die moderne Technik macht vielen Menschen Angst. Doch ohne Kollege Computer geht im medizinischen Bereich heutzutage nichts mehr. Wie gut sind die Allgäuer Kliniken in Sachen High-Tech-Medizin aufgestellt?

Holetschek: Die Kliniken organisieren ihre innerbetrieblichen Angelegenheiten eigenverantwortlich angepasst an die individuellen Erfordernisse vor Ort. Das gilt auch für die digitale und medizintechnische Ausstattung. Wir unterstützen die Investitionen aber kraftvoll. Die Digitalisierung in den Krankenhäusern ist schließlich ein wesentlicher Faktor für die medizinische Versorgung. Wir haben die pauschalen Fördermittel, die den Krankenhäusern zustehen, bereits 2018 um 50 Millionen Euro erhöht, insbesondere um Investitionen im IT-Bereich zu erleichtern. Aktuell stehen den Krankenhäusern, die in den bayerische Krankenhausplan aufgenommen sind, darüber hinaus zusätzlich rund 590 Millionen Euro aus dem Krankenhauszukunftsfonds des Bundes zur Verfügung. Bayern übernimmt die darin enthaltene verpflichtende Ko-Finanzierung in Höhe von 180 Millionen Euro vollständig, um die Digitalisierung weiter voranzutreiben.

Bleibt die Allgäuer Kliniklandschaft so wie sie ist bestehen, oder drohen weitere Schließungen? Wenn ja, welche? Und wie kann die flächendeckende medizinische Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum künftig sichergestellt werden?

Holetschek: Der Wettbewerb um qualifiziertes Personal und die ständig weiter steigenden Qualitätsanforderungen werden die Krankenhäuser generell - und auch die Kliniken im Allgäu - noch vor größere Herausforderungen stellen. Damit die Kliniken medizinisch und wirtschaftlich leistungsfähig bleiben, könnten zum Beispiel möglichst große Fachabteilungen in den einzelnen Häusern gebildet werden. Dies wiederum bedeutet, dass nicht mehr jedes Krankenhaus das gesamte medizinische Spektrum anbieten kann. Bei Bedarf unterstützt und begleitet die staatliche Krankenhausplanung entsprechende Maßnahmen zu Strukturverbesserung und berät gemeinsam mit den Kliniken sinnvolle Versorgungskonzepte. Wir fördern die Krankenhäuer auch künftig auf hohem Niveau, um eine Krankenhausinfrastruktur auf dem medizinischen und technischen Stand der Zeit zu gewährleisten.

Anfang November 2019 fusionierte der Klinikverband Kempten-Oberallgäu mit den Kreiskliniken Unterallgäu zum Klinikverbund Allgäu gGmbH. Zum Klinikverbund gehören die sechs folgenden Kliniken: Das Klinikum Kempten, die Klinik Mindelheim, die Klinik Immenstadt, die Klinik Oberstdorf, die Klinik Ottobeuren sowie die Geriatrie-Kliniken Sonthofen gehören dazu. Mit rund 4000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ist der Klinikverbund einer der größten Arbeitgeber in der Region. Eine Allgäuer Erfolgsgeschichte?

Holetschek: Der Zusammenschluss ist sicherlich ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Der Kooperationsgedanke sollte aber auch über den Klinikverbund hinaus mit den anderen Krankenhäusern der Region gelebt werden. Für den Verbund selbst wird es nun darauf ankommen, die internen Strukturen den Erfordernissen der Zeit anzupassen und gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Weichen für einen dauerhaft stabilen Betrieb zu stellen.

Das Bayerische Gesundheitsministerium gab jüngst grünes Licht für den Neubau des Memminger Klinikums. Errichtet werden soll der neue „Gesundheitscampus“ auf einem 15 Hektar großen Gelände am Autobahnkreuz. Das 360-Millionen-Euro-Projekt soll frühestens im Jahre 2030 in Betrieb genommen werden. Was bedeutet der Neubau für die Stadt Memmingen und das Allgäu?

Holetschek: Für die Stadt Memmingen und die gesamte Region bedeutet der Neubau eine weitere Verbesserung im akutstationären Versorgungsangebot. Nach Inbetriebnahme der neuen Klinik steht den Bürgerinnen und Bürgern aus Memmingen und Umgebung ein neues, qualitativ hochwertiges Krankenhaus der Schwerpunktversorgung zur Verfügung, das allen Ansprüchen der modernen Medizin gerecht wird.

Was halten Sie von der Idee im Rahmen des Neubaus des Memminger Klinikums eine Hochschule mit Inhalten aus den Pflege- und Gesundheitswissenschaften zu errichten?

Holetschek: Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung müssen in Form einer evidenzbasierten Pflegepraxis in der Arbeit mit dem Patienten eingesetzt werden und die Versorgungsqualität optimieren. Eine akademische Ausbildung stellt dafür bei zunehmender Pflegebedürftigkeit und hoher Komplexität von Versorgungssituationen eine zunehmend bedeutsamere Voraussetzung dar. Die Hochschule Kempten wird voraussichtlich zum Wintersemester 2021/2022 einen Pflegestudiengang anbieten - und auch die Universität Augsburg strebt zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Einrichtung eines Pflegestudiengangs an. Schwaben ist damit sehr gut aufgestellt, den immer komplexeren Anforderungen in der Patientenversorgung mit hochqualifiziertem Personal Rechnung zu tragen.

Warum können Leistungen (Kosten) für Patienten, die einen Platz in der Kurzzeitpflege benötigen, aber trotz intensiver Suche seitens des Krankenhauses keinen Platz bekommen, von den Kliniken nicht abgerechnet werden?

Holetschek: Ein stationärer Krankenhausaufenthalt soll grundsätzlich nur dann erfolgen, wenn dieser nach ärztlicher Einschätzung für die betroffene Person wirklich medizinisch notwendig ist. Krankenhäuser können Leistungen der vollstationären Versorgung daher nur dann abrechnen, wenn und solange das der Fall ist. Es gibt dabei ein breites Spektrum an Versorgungsmöglichkeiten für unterschiedliche Konstellationen.

Rehakliniken

Wie wichtig sind dem Gesundheitsminister des Gesundheitslandes Bayern die Kurorte?

Holetschek: Unsere Kurorte sind mir eine Herzensangelegenheit. Wir haben in Bayern mehr als 50 Kurorte, Heilbäder und anerkannte Heilquellen- und Moorkurbetriebe, die alle besonders hochwertige Heilmittel und Heilverfahren anbieten - und das in gesundheitsfördernder Umgebung! Die Heilbäder und Kurorte sind ein wichtiger Baustein der Gesundheitsversorgung im Freistaat.

In der Corona-Pandemie wurden und werden viele geplante Operationen verschoben, fallen weniger Rehabilitationsleistungen an. Die Reha-Branche könnte auf Grund der ausbleibenden Patienten bald selbst zum Patienten werden. Welche Strategie haben Sie als Alt-Bürgermeister von Bad Wörishofen und ehemalige Vorsitzende des bayerischen Heilbäderverbandes zur Stärkung der bayerischen Heilbäder und Rehakliniken?

Holetschek: Ich stehe mit Vertretern der Kurorte und Rehakliniken im engen Austausch. Die Rehakliniken haben in den vergangenen Monaten einen wertvollen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie geleistet. Sie standen nicht nur als sogenannte Abstromeinrichtungen der Akutkrankenhäuser zur Verfügung, sondern haben diese auch durch Personaleinsatz unterstützt. Auf der anderen Seite leiden die Reha-Einrichtungen natürlich unter den Folgen der derzeitigen Situation. Wenn Operationen abgesagt werden, hat das auch Auswirkungen auf nachsorgende Rehamaßnahmen. Und auch die Reha-Einrichtungen müssen natürlich Hygienekonzepte einhalten, sodass die Belegung nicht vollumfänglich möglich ist. Ich werde mich auch künftig dafür einsetzen, dass die Reha-Einrichtungen finanzielle Ausgleichszahlungen erhalten. Sobald wieder eine volle Belegung der Kliniken möglich sein wird, bin ich der festen Überzeugung, dass die Therapiemöglichkeiten wieder in Anspruch genommen werden.

Wie sehen Sie den Stellenwert von Fachkliniken für chronische Krankheiten, die nicht direkt in die Covid-Versorgung einbezogen, aber sehr stark von den Auswirkungen der Pandemie betroffen sind?

Holetschek: Die Fachkliniken für chronische Erkrankungen haben einen wichtigen Versorgungsauftrag - auch in Zukunft. Wir dürfen die Langzeitfolgen von COVID-19 nicht unterschätzen. Geschätzt leiden 10 Prozent der Infizierten an Langzeitfolgen wie Long COVID oder Post-COVID-Syndrom. Und auch sonst leiden viele Menschen an der langanhaltenden Belastung der vergangenen Monate. Homeschooling, Homeoffice, die unsichere wirtschaftliche Lage, beengte Lebensverhältnisse - das alles geht an den Bürgern und vor allem auch an Eltern und Kindern nicht spurlos vorbei.

Pandemiebedingt kommen in weiten Teilen der Bevölkerung die Gesundheitsvorsorge und persönliche Fitness zu kurz. Dementsprechend wollen Rehakliniken wieder so schnell wie möglich in den Bereich der Vorsorge einsteigen, denn es gilt weiterhin die Maxime „Prävention vor Rehabilitation“. Wie stellen Sie sich eine aktive Unterstützung der medizinischen Prävention durch die Politik vor?

Holetschek: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Pandemie den Wert unserer Gesundheit stark ins Bewusstsein der Menschen gerückt hat. Nicht nur die Gesundheitsversorgung durch Krankenhäuser und Ärzte, sondern auch die Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit sind Themen, mit denen wir uns alle seit Monaten beschäftigen. Ich bin mir sicher, dass Vorsorge und Prävention nochmal an Bedeutung gewonnen haben. Mir war und ist es ein Anliegen, die Einrichtungen bestmöglich zu unterstützen.

Corona wird uns noch lange begleiten. Entsprechend wird der Bedarf an Rehabilitationsmaßnahmen für Long-Covid-Patienten ansteigen. Wie kann sichergestellt werden, dass finanzielle Mittel für den steigenden Reha-Bedarf der Betroffenen zur Verfügung stehen?

Holetschek: Wir haben bereits im Januar einen Runden Tisch einberufen, aus dem eine regelmäßig tagende Arbeitsgruppe entstanden ist. Daran beteiligen sich Leistungserbringer, Kostenträger, Wissenschaft, Verwaltung und Betroffene. Unser Ziel ist klar: Betroffene sollen einen schnellen Zugang zu Rehabilitation und Nachsorge erhalten, um chronische Erkrankungen zu vermeiden. Die Reha-Einrichtungen spielen hier eine entscheidende Rolle. Wir prüfen, wie wir die Einrichtungen bei der Behandlung von Corona-Langzeitfolgen unterstützen können. Vor allem die bundesrechtlichen Rahmenbedingungen der Finanzierung müssen nachgebessert werden, wenn Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Reha-Einrichtungen zu keinen tragfähigen Ergebnissen führen sollten.

Pflege

„Impfen ist das Einzige, was wir dem Virus entgegensetzen können“-2
Das Handy ist Holetscheks ständiger Begleiter.

In vielen Krankenhäuser, Reha-Kliniken und Pflegeheimen herrscht Fachkräftemangel, der sich in Zeiten der Corona-Pandemie verstärkt bemerkbar macht. Sind Topfschlagen und Singen auf dem Balkon genügend Dank?

Holetschek: Die Leistung der Pflegekräfte verdient allerhöchste Anerkennung, Dank und großen Respekt. Auch in der Corona-Pandemie haben die Beschäftigten im Pflegebereich durch ihr vorbildliches Engagement erheblich dazu beigetragen, dass so vielen Menschen geholfen werden konnte. Aber durch Dankesworte lassen sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege nicht verbessern. Wir brauchen eine umfassende Reform, die auch den Pflegeberuf attraktiver macht.

Seit Jahren verspricht die Regierung der Pflege ein Personalbemessungsinstrument. Bisher gelten jedoch nur die Personaluntergrenzen. Das heißt, dass es auf vielen Stationen zu wenig Pflegekräfte gibt. Wann wird das versprochene Personalbemessungsinstrument umgesetzt?

Holetschek: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Deutsche Pflegerat, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der GKV-Spitzenverband haben dem Bundesgesundheitsministerium (BGM) im März dieses Jahres Eckpunkte für ein neues Instrument zur Pflegepersonalbedarfsbemessung im Krankenhaus vorgelegt. Das BMG prüft jetzt eine gesetzliche Regelung noch in dieser Legislaturperiode. Ziel ist die Einführung eines Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstruments bis zum Jahr 2025, das anschließend regelmäßig weiterentwickelt werden soll. An dieser Stelle möchte ich allerdings auch betonen, dass auch die Pflegepersonaluntergrenzen mit ihren Mindestpersonalvorgaben ein sehr wichtiges und hilfreiches Instrument sind, um sowohl Pflegekräfte als auch Patientinnen und Patienten zu schützen. Denn außer Frage steht ja, dass bei einem höher liegenden Personalaufwand zusätzliches Pflegepersonal eingesetzt werden soll und muss.

Eine Steuerentlastung für Wochenend-, Feiertag- und Nachtarbeit wäre ein positives Zeichen für die Pflege. Ist da eine zeitnahe Umsetzung geplant?

Holetschek: Ich plädiere für weitere Steuererleichterungen, zum Beispiel im Bereich der Zuschläge. Damit könnten wir den Beruf dauerhaft finanziell attraktiver machen und besonders anstrengende Schichten oder besondere Flexibilität finanziell honorieren. Die Zuständigkeit für die Einkommensbesteuerung liegt aber beim Bundesfinanzminister. Nachdem dieser seine grundsätzliche Bereitschaft für Verbesserungen im Pflegebereich mehrfach öffentlich kommuniziert hat, bin ich zuversichtlich, dass sich hier bald was tut.

Anderen Ländern, die viel Geld in die Ausbildung des Pflegepersonals investiert haben, die Pflegerinnen und Pfleger abzuwerben, ist auf lange Sicht keine Lösung. Wie will die Politik den Pflegeberuf noch attraktiver machen?

Holetschek: Die Zukunft einer guten Pflege entscheidet sich in der Frage, ob es gelingt, ausreichend gut qualifiziertes Personal zu gewinnen. Die steigenden Ausbildungszahlen belegen, dass viele Menschen den Pflegeberuf als attraktive Chance wahrnehmen. Es gilt aber auch, langfristig gute Jobperspektiven zu schaffen. Deshalb müssen wir überlegen, wo wir Pflegekräften mehr Kompetenzen geben und wie wir den Beruf besser bezahlen können. Auf Initiative Bayerns wurden bereits die Grundlagen geschaffen, Tarifvergütungen in den Pflegesätzen verlässlich zu refinanzieren. Es bedarf nun endlich attraktiver und für alle verbindlicher tariflicher Vergütungsstrukturen. Da die Tätigkeit in der Pflege zwangsläufig mit Nacht- und Wochenenddiensten verbunden ist, gleichzeitig aber dem Allgemeinwohl dient, sollen Zuschläge für Überstunden, Wochenendarbeit und Nachtarbeit künftig stärker steuerlich begünstigt werden.

Ein Pflegeheim in Kempten wirbt mit Wohnraum um Fachkräfte. Pflegekräfte, die in dem Heim eine Stelle antreten, wolle man künftig für ein Jahr eine Wohnung anbieten. Was halten Sie von diesem Konzept?

Holetschek: Ohne die Details zu kennen, finde ich die Grundidee kreativ und erfreulich. Der Pflegeberuf muss attraktiver werden, damit Menschen dauerhaft ihre berufliche Heimat in der Pflege finden. Denn klar ist: Wir brauchen dringend attraktivere Angebote, bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung, um Fachkräfte zu gewinnen. Wir werben daher beim Bund für eine umfassende Pflegereform. Wenn daneben auch die Einrichtungen mit eigenen Initiativen und guten Ideen für Fachkräfte werben, freut mich das natürlich.

Corona

Der Impfturbo brummt. Im Juni und Juli sollen täglich eine Million Menschen in Deutschland den „Piks“ bekommen. Wie viele Menschen müssen geimpft sein, um das Virus dauerhaft zu kontrollieren?

Holetschek: Damit die Übertragung des Coronavirus wirksam gestoppt werden kann, muss eine ausreichende Immunität in der Bevölkerung vorhanden sein. Laut Robert Koch-Institut ist angesichts der neuen Mutationen des Coronavirus und der derzeit in Deutschland dominanten Mutante B.1.1.7 eine Impfquote von 80 Prozent erforderlich, um eine Herdenimmunität zu erreichen.

Wird bald mehr Impfstoff nach Bayern geliefert?

Holetschek: Wir haben in Bayern grundsätzlich ein hohes Tempo bei den Impfungen. Impfstoff ist allerdings immer noch ein sehr knappes Gut und leider noch nicht ausreichend für alle Impfwilligen vorhanden. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten wieder mit höheren Liefermengen seitens des Bundes rechnen können und so möglichst vielen Menschen schnell ein Impfangebot machen können.

Impfungen sind das Licht am Ende des Tunnels, so die Mediziner. Was sagen Sie den Menschen, die sich immer noch nicht impfen lassen wollen?

Holetschek: Impfen ist ein Kernelement unserer Corona-Strategie. Langfristig ist es das Einzige, was wir dem Virus entgegensetzen können. Deshalb gilt es, so viele Menschen zu impfen wie möglich. Die Impfstoffe werden mit Vorsicht und erst nach einer gründlichen Prüfung zugelassen. Die EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur) und das PEI (Paul-Ehrlich-Institut) bewerten auch nach der Zulassung konsequent den Einsatz der Impfstoffe und wägen die Risiken ab. Haben Sie Vertrauen in die Impfstoffe! Sie sind unser Weg aus der Pandemie.

Ein bislang noch unterschätztes Problem der Pandemie sind die Spätfolgen der Viruserkrankung. Eine ist etwa das Fatigue-Syndrom, das auch junge Betroffene aus der Bahn werfen kann, weil sie zu erschöpft sind und nicht mehr arbeiten können. Wie ernst ist diese Bedrohung?

Holetschek: Wir haben es mit einem neuen Krankheitsbild zu tun, das sich in verschiedenen Formen zeigt und über das wir insgesamt noch zu wenig wissen. Aber klar ist, dass wir das nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfen. Denn die Symptome von ‚Long-COVID‘ können massive Auswirkungen auf den Alltag, die Lebensqualität und das Berufsleben der Betroffenen haben. Deswegen müssen wir unbedingt eine fundierte COVID-Nachsorge und Rehabilitation etablieren.

Muss die Corona-Impfung jährlich aufgefrischt werden? Wenn ja, wer bezahlt den „Piks“, die Krankenkassen, oder die Bürger aus eigner Tasche?

Holetschek: Die Notwendigkeit möglicher Auffrischungsimpfungen muss zunächst noch wissenschaftlich geklärt werden. Sobald uns hierzu Erkenntnisse vorliegen, braucht es ein bundesweit abgestimmtes Vorgehen.

Die Lockerungen für Geimpfte empfinden viele junge Menschen und Familien als ein Schlag ins Gesicht, weil sie bisher keine Chance auf eine Impfung hatten, dennoch auf Kontakte verzichtet haben. Das Wort Impfneid macht die Runde. Welcher Kompromiss könnte Geimpfte und Ungeimpfte versöhnen? Wie lange hält der soziale Kitt noch?

Holetschek: Ich kann nur an alle appellieren, weiterhin solidarisch zu bleiben. Lassen Sie keinen Impfneid aufkommen! Vollständig Geimpfte und Genesene spielen nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts keine wesentliche Rolle bei der Verbreitung einer COVID-19-Erkrankung. Es ist daher wichtig und richtig, ihnen wieder Erleichterungen zu ermöglichen. Klar ist: Wir tun alles dafür, allen so schnell wie möglich ein Impfangebot zu machen.

Können Arbeitgeber darauf pochen, dass sich Mitarbeiter impfen lassen?

Holetschek: Eine Impfpflicht besteht in Deutschland generell nicht. Die Impfung ist freiwillig, auch wenn der Betriebsarzt impft.

Gilt die Impfzeit als Arbeitszeit?

Holetschek: Ähnlich wie beim Arzttermin ist der Impftermin Privatsache der Beschäftigten und daher keine Arbeitszeit bzw. außerhalb dieser wahrzunehmen. Im Einzelfall kommt auf die tariflichen Vorgaben bzw. betrieblichen Vereinbarungen an. Die sind auch dann maßgeblich, wenn im Betrieb selbst geimpft wird.

Kann in einem Heim, in dem alle geimpft sind, auf die Maskenpflicht verzichtet werden?

Holetschek: Um den positiven Trend hin zu weniger Neuinfektionen – auch in Pflegeheimen – nicht zu gefährden, ist weiterhin Vorsicht geboten. Deshalb können Lockerungen nur schrittweise und unter genauer Beobachtung des Infektionsgeschehens erfolgen. Wir haben in Heimen bereits die Besuchseinschränkungen mit Ablauf des 26. März 2021 aufgehoben und Gruppenangebote und Gemeinschaftsaktivitäten wieder ermöglicht. Die Aufhebung der bewährten AHA+L-Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie, wie das Tragen von Masken, ist derzeit noch nicht sinnvoll.

Impfstoff ist immer noch knapp. Jetzt sollen auch Kinder und Jugendliche geimpft werden. Wird dadurch nicht neue Not verursacht?

Holetschek: Beim Impfen sind wir weit gekommen, obwohl der Impfstoff immer noch knapp ist. Wir haben jetzt eine Zulassung eines Impfstoffes für Kinder und Jugendliche. Wir halten uns nun an die Empfehlung der Ständigen Impfkommission, vor allem Kinder mit Vorerkrankungen zu impfen. Wir haben damit einen guten Mittelweg eingeschlagen.

Wann bekommen wir unser „altes Leben“ zurück?

Holetschek: Die Impfkampagne schreitet deutschlandweit gut voran. Wir müssen weiter Vorsicht walten lassen, aber die sinkenden Inzidenzen und die umfangreichen Öffnungen geben Zuversicht. Wir gehen Schritt für Schritt wieder in Richtung Normalität. Wir können noch nicht absehen, wann die Pandemie wirklich vorbei ist. Aber der Zeitpunkt, an dem wir keine Maßnahmen mehr benötigen, wird kommen. Bis dahin haben wir aber noch ein Stück Arbeit vor uns.

Welche positiven Lehren lassen sich aus der Coronakrise ziehen?

Holetschek: Klar ist doch: Die Pandemie verlangt uns allen viel ab. Sie hat das Leben zahlreicher Menschen umgeworfen und nachhaltig beeinflusst. Sie hat unseren Blick aber auch wieder auf das Wesentliche gerückt. Und deutlich gemacht, was uns wichtig ist. Sie hat gezeigt, was wir erreichen können, wenn wir solidarisch miteinander umgehen.

Wann kommt der fälschungssichere Impfausweis?

Holetschek: Die bayerischen Impfzentren erzeugen seit 10. Juni die digitalen Impfnachweise.

Halten Sie eine vierte Welle durch eine neue Mutation für möglich?

Holetschek: Nach bisherigen Erkenntnissen wirken die in der EU zugelassenen Impfstoffe auch gegen die derzeit bekannten Mutationen des Coronavirus.

Haben Sie Ihren Sommerurlaub schon geplant?

Holetschek: Ja, wir fahren an die Nordsee. Jürgen Rasemann

Welchen Allgäuer Gipfel möchten Sie noch erklimmen?

Was bedeutet Gesundheit für Sie?

Holetschek: Sebastian Kneipp wird der Ausspruch zugeschrieben: „Vergesst mir die Seele nicht!“. Das stimmt! Zur Gesundheit gehört für mich auch ganz klar das seelische Wohlbefinden.

Wie halten Sie sich fit?

Holetschek: Ich gehe gerne Laufen oder Wandern in meiner Allgäuer Heimat. Allerdings habe ich dafür im Moment sehr wenig Zeit.

Ernähren Sie sich gesund?

Holetschek: Ich versuche es!

Ihre Allgäuer Lieblingsspeise?

Holetschek: Krautkrapfen und Kässpatzn esse ich schon immer gern – Sie sehen also, dass das mit der gesunden Ernährung nicht immer klappt.

Bier, Wein oder Mineralwasser?

Holetschek: Coke Zero – aber hin und wieder auch mal ein Bier oder ein Glas Wein.

Was sagt Ihnen der Wasserdoktor Pfarrer Sebastian Kneipp heute noch?

Holetschek: Ich bin in der Kneipp-Stadt Bad Wörishofen zur Schule gegangen, kenne viele der Kneippanlagen im Stadtgebiet. Auch als ehemaliger Präsident des Kneipp-Bundes und früherer Bürgermeister Bad Wörishofens hat mich Kneipps ganzheitliches Konzept immer wieder begleitet. Sebastian Kneipp hat schon vor 150 Jahren die Bedeutung einer gesundheitsbewussten Lebensweise erkannt. Er wusste, dass man körperliche und seelische Gesundheit achten und pflegen muss. Sein Konzept und seine Idee einer ganzheitlichen Medizin sind aktueller denn je.

Was schenkt Ihnen unvergessliche Wohlfühlmomente?

Holetschek: Wenn ich Zeit mit meiner Familie verbringen kann, ist das für mich am schönsten – egal wo.

Haben Sie einen Kraftplatz im Allgäu?

Holetschek: Das Kloster Ottobeuren ist für mich ein ganz besonderer Ort, der Kraft gibt.

Welchen Allgäuer Gipfel möchten Sie noch erklimmen?

Holetschek: Ich war schon auf vielen Allgäuer Gipfeln. Besonders auf den Grünten gehe ich immer wieder gern – am liebsten zum Sonnenaufgang.

Was war Ihr größtes Abenteuer?

Holetschek: Das erlebe ich aktuell jeden Tag: mitten in einer Pandemie Gesundheitsminister zu sein.

Welcher Wunsch sollte noch in Erfüllung gehen?

Holetschek: Ich freue mich auf den Zeitpunkt, wenn wir keine Beschränkungen wegen der Corona-Pandemie mehr brauchen. Dass es bald so weit sein wird, ist gerade mein größter Wunsch.

Sie werden als „Macher“, „Allrounder“ gar „Allzweckwaffe“ gelobt. Wie fühlt man sich da?

Holetschek: Für mich beschreibt das viel weniger mich selbst als vielmehr die Mammutaufgabe, die mein Posten als Gesundheitsminister mitten in einer Pandemie so mit sich bringt. Mir geht es in der Politik um die Sache und um die Menschen. Ich selbst nehme mich da nicht so wichtig.

Wie werden Sie mit Aufs und Abs in der Politik fertig?

Holetschek: Die Kunst ist, aus der Position, in der man sich gerade befindet, das Beste zu machen und alles herauszuholen. Unter den aktuellen Bedingungen Politik zu machen, ist natürlich eine große Herausforderung. In dieser Pandemie muss man immer wieder auf Überraschungen und eine rasante Dynamik der Entwicklungen gefasst sein. Es gibt keine Blaupausen für die Antworten.

Sie sollen ein braver, ruhiger Schüler gewesen sein. Fleißig, aber zurückhaltend. Stimmt das?

Holetschek: Ja, das stimmt.

Vor wem ziehen Sie den Hut?

Holetschek: Vor unserem Herrgott.

Was fasziniert Sie an der Politik?

Holetschek: Mein Interesse an der Politik habe ich schon früh entdeckt. Mein Sozialkundelehrer, der übrigens bei den Grünen war, hat damals mein Bewusstsein für politischen Debatten und Zusammenhänge geschärft. Er hat mit uns immer auf Augenhöhe diskutiert, egal, welche Meinung man vertreten hat. Das hat mich beeindruckt. Eine Kernaufgabe der Politik ist es doch zu verstehen, wo den Menschen der Schuh drückt, und zu erklären, was wir dagegen tun. Schon als Bürgermeister und später auch als Bürgerbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung habe ich gelernt, wie wichtig es ist, den Menschen aktiv zuzuhören.

Die Vita des Klaus Holetscheck +++ Klaus Holetschek ist Jurist und Politiker +++ Er wurde am 21. Oktober 1964 in Landshut geboren und ist in der +++ Holetschek blickt auf eine lange politische Karriere zurück. +++ Von 1985 bis 1994 war er unter anderem Kreisvorsitzender der Jungen Union Un- des 1. Bürgermeisters von Bad Wörishofen füllte er von 2002 bis 2013 aus +++ Von 2008 bis 2014 war er stellvertretender Landrat des Unterallgäus +++ Verkehrsministerium und wechselte im August 2020 als Staatssekretär ins Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. +++ Seit 11. Januar 2017 bis Dezember 2020 Präsident des Kneipp-Bund e.V. - Bundesverband für Gesundheitsförderung und Prävention sowie von 2006 bis August 2020 Mehr im Internet unter www.holetschek.de

Kur- und Kneipp-Stadt Bad Wörishofen aufgewachsen. +++ Der 56-Jährige ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt mit seiner Familie in Memmingen. +++ Von 1998 bis 2002 war er Mitglied des Deutschen Bundestages +++ Seit 2013 ist er Mitglied des Bayerischen Landtages +++ Das Amt
Von 2018 bis 2020 Bürgerbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung +++ Im März 2020 wurde Holetschek Staatssekretär im Bayerischen Bau- und
2021 ist er dort Staatsminister. +++ Holetschek, der in seiner Unterallgäuer Heimat fest verankert und in Bayern gut vernetzt ist, war außerdem von Mai 1. Vorsitzender des Bayerischen Heilbäderverbandes +++ Von 2011 bis 2020 Vorsitzender des Tourismusverbands Allgäu/Bayerisch-Schwaben +++