Leben

Zotteliges Waisenkind

Von schottischen Pensionsgästen und einem Kälbchen als Hofhund

Foto: Herbert Schmidt

Foto: Herbert Schmidt

Zotteliges, langes, rotes Fell, fast blind vor lauter Haaren im Gesicht und mächtige Hörner – das sind die Markenzeichen des Schottischen Hochlandrindes. Ursprünglich angesiedelt im rauen, nass-kalten Klima im Nordwesten Schottlands und den Hebriden, wird es heute in vielen Ländern weltweit gezüchtet. Also auch in Deutschland. Durch ihre robuste, wetterbeständige Art werden die Rinder häufig als Landschaftspfleger und lebendiger Rasenmäher eingesetzt. Auch Familie Aicher aus Dietmannsried bekommt über die Sommermonate jährlich tierischen Besuch. Im Jahr 2019 ereignete sich dabei eine ganz besondere Geschichte. Aber fangen wir mal von vorne an...

Egal, wie alt sie sind: Wenn Kinder sich etwas in den Kopf setzen und lieb bitten, dann werden die Eltern meist schwach. Als Sohn Wolfgang die Idee kam, ein Schottisches Hochlandrind zu kaufen, konnten die Eltern ihm diesen Wunsch nicht abschlagen. Bei der ersten Agrarschau im Jahr 2018 wurde das Vorhaben in die Tat umgesetzt. Da die Rinder jedoch nicht alleine gehalten werden können, mussten schnellstmöglich weitere Herdenmitglieder her. Seitdem beherbergt Familie Aicher den Sommer über eine kleine Gruppe der zotteligen Artgenossen. In den kühlen Monaten kehren sie dann in ihr Winterquartier zu ihrem Besitzer in Wiggensbach zurück. Ihr langes, aus zwei Schichten bestehendes Fell, hält die Tiere zwar auch bei kalten Temperaturen schön warm, wegen des Futters müssen sie allerdings im Winter in den Stall umziehen. Dabei wäre die obere Schicht ihres zotteligen roten Fells sogar schnee- und wasserabweisend.

Die „Pensionsgäste“ haben sich in Dietmannsried schnell zu einer Attraktion entwickelt. Vor allem, wenn Nachwuchs mit auf der Weide grast, kommt kein Spaziergänger oder Wanderer am Zaun vorbei, ohne zumindest kurz das lustige Treiben zu beobachten. Wie kleine Teddybären spielen und toben die strubbeligen Kälbchen miteinander. „Eigentlich müssten wir einen Kiosk eröffnen, damit könnten wir bei den vielen Besuchern gutes Geld verdienen“, scherzt Josef Aicher.

Die robuste und pflege leichte Rinderrasse kalbt in der Regel alleine auf der Weide und benötigt keinerlei menschliche Unterstützung. Selbst ein Tierarzt ist nicht notwendig. Aufgrund ihrer Herkunft haben die tapsigen Hochlandkälber bereits kurz nach der Geburt ein dichtes, kuscheliges Fell – wie kleine Teddybären eben. Was der Mensch oft nach einem Jahr noch nicht kann, das erlernen die kleinen Rabauken schon im Alter von nur wenigen Stunden – dann rennen sie auch schon umher.

Zotteliges Waisenkind-2
Foto: Siegfried Winkler

Ein Kälbchen namens Benni

Besonders herzig wurde es im Mai 2019. Damals erblickte Nachwuchs Benni das Licht der Welt. Allerdings starb seine Mutter bei der Geburt und machte das kleine Kälbchen somit zum Waisenkind. Familie Aicher zögerte nicht lange und zog den wuscheligen Knirps selbst auf. Von nun an gehörte Benni zur Familie, lag wie selbstverständlich im Hof, bewachte das Haus und dachte sich wohl: „Wenn der Hund das so macht, dann muss es richtig sein“. „Wir hatten einen Uz-Spaß“, erinnert sich Aicher. Damit Benni auch die Spaziergänge begleiten kann, wurde kurzerhand eine neue Leine gekauft und mit Kalb und Hund durchs Dorf marschiert. „Die beiden haben wie Artgenossen miteinander im Hof gespielt und getobt“. Nachdem ihnen der zottelige Nachwuchs einen Sommer nicht von der Seite wich und Rosmarie und Josef auf Schritt und Tritt verfolgte, war es Zeit, sich zu verabschieden – denn auch Benni muss ins Winterquartier nach Wiggensbach. Doch dieser Abschied ist nicht von Dauer.

Im Sommer 2020 kam der mittlerweile groß gewordene Jungbulle für ein paar Monate zurück zu seiner Pflegefamilie nach Dietmannsried. Mitten in der Pubertät zeigte er jedoch keinen Respekt mehr gegenüber seinen menschlichen Familienmitgliedern und es fiel ihm zunehmend schwer, zwischen Spiel und Ernst zu unterscheiden – das machte ihn gefährlich. Heute kann der zweijährige Benni nicht mehr zu Besuch kommen. „Er sah uns als Spielkameraden an und war dabei einfach zu grob und frech“, erzählt Rosmarie Aicher. Da er nicht in der Herde zur Welt kam, wurde er von den anderen Hochlandrindern zudem nie akzeptiert und musste getrennt abgezäunt werden. Auch wenn die Trennung und der Abschied allen sehr schwer fiel, ist es in den Augen der Aichers die beste Entscheidung. Für die anderen Gäste steht der Weidezaun bei Familie Aicher jedoch weiterhin offen. Das Ehepaar aus Dietmannsried freut sich jedes Jahr auf die tierischen Besucher. „Man braucht nicht meinen, dass die Rinder dumm sind. Sie erkennen jedes Auto und machen dann Theater, weil sie Hunger haben“, witzelt Aicher.

Übrigens ist auch in diesem Jahr eine der Pensionsgäste guter Hoffnung. Wenn alles gut geht, kann der wuschelige, tollpatschige Nachwuchs im September/Oktober auf der Weide in Dietmannsried beim Toben bestaunt werden. Und wer weiß, vielleicht gibt es bis dahin auch schon Snacks und Getränke im Kiosk „zum zotteligen Rind“. Teresa Pickl 
    

Das schottische Hochlandrind

· ist die älteste registrierte Viehrasse (1884)
· stammt aus dem Nordwesten Schottlands und den Hebriden
· gilt als gutmütig, robust und langlebig
· eignet sich für die ganzjährige Freilandhaltung
· kalbt ohne menschliche Hilfe
· liefert mittelrahmige Milch und cholesterinarmes Fleisch
· ist seit 1975 in Deutschland
· wird bis zu 800 Kg schwer
· hat eine Lebenserwartung von 20 Jahren