Wald bewusst wahrnehmen
Abschalten zwischen Bäumen
Mit dem Duft von Fichtennadeln an meinen Fingern gehe ich vorsichtig hinter Rosa Maria Reuther über den weichen, unebenen Boden. Bis auf das Rascheln und Knacken unter meinen Füßen ist es still. Ein paar Stunden zwischen den Bäumen fühlen sich an, als wäre die Zeit stehen geblieben. Warum Waldbaden mehr ist als nur ein neuer Trend.Heutzutage geht es bei vielen Trends darum, den stressigen Alltag zu entschleunigen: ob Yoga, Detox oder Handy-Fasten. Aber das Einfachste, um abzuschalten von der immer hektischer werdenden Welt, ist, bewusst in die Natur zu gehen. Seit einiger Zeit ist das „Waldbaden“ zum einem Trend avanciert, der aus Japan zu uns herübergeschwappt ist.
„Shinrin Yoku“, nennt man es dort, was so viel bedeutet wie: „Baden in der Waldluft“. Natürlich braucht man einem einfachen Spaziergang im Forst keinen neumodischen Namen geben, damit er erholsam wird. Aber es ist sehr spannend, den Naturraum Wald mit Unterstützung einmal ganz bewusst und mit allen Sinnen zu erleben.
Ich treffe mich mit Rosa Maria Reuther an der Umweltstation Legau. Die Lautracherin bietet seit einiger Zeit als Naturtherapeutin Exist Kurse im Waldbaden an. Wir fahren ein Stück mit dem Auto, bis in ein kleines Waldstück an der Iller. Reuther ist Gartenbau-Lehrerin und arbeitete zuvor als Gärtnerin im Berufszweig Baumschule. Heute ist sie im Lindengarten in Legau tätig. Der Lindengarten ist eine sozialtherapeutische Einrichtung mit Jugendhilfe und Wohngruppen für Erwachsene mit Hilfebedarf. Auch mit ihrer Gruppe dort geht sie wöchentlich in den Wald und merkt, dass diese Zeit vielen sehr guttut. Verirrt hat sich auch bei den Streifzügen im Alleingang noch niemand. „Es geht darum, Vertrauen zu haben und zu vermitteln“, betont Reuther.
Im Wald hilft mir Reuther meine Umgebung mit all meinen Sinnen bewusst und intensiv wahrzunehmen. Den Boden, der für meine Füße so viel angenehmer ist, als die betonierte Zufahrtsstraße. Die Baumwipfel hoch über unseren Köpfen. Die kleinen Details wie pechschwarzes, totes Holz, über dem die Rinde abblättert, holzige Pilze oder saftig grünes Moos. Am Ufer der Iller finden wir einen angenagten Baum. „Das ist noch ganz frisch. Der Biber muss heute Nacht hier am Werk gewesen sein“, bemerkt Reuther. Reiher und Schwäne sind kleine weiße Flecken auf dem breiten Fluss, der hier eher wirkt wie ein See. Von einer ausgeblichenen roten Bank haben wir eine wunderbare Aussicht. „Das ist für mich wie Kanada. Ich muss gar nicht weit weg in den Urlaub fahren.“
Reuther engagiert sich mittlerweile auch politisch. „Die Agrarindustrie und die globale Wirtschaft sind auf ständiges Wachstum aus, um Profite zu erzielen. Das ist aber kein natürliches Wachstum“, sagt sie. „Natürliches Wachstum steigt schnell an, bleibt dann gleichbleibend und fällt auch wieder ab. Das können wir von der Natur lernen.“ Durch das Waldbaden sei es möglich, wieder mehr Verbindung zu sich selbst und zur Natur aufzunehmen. Denn wer eine persönliche Verbindung mit der Natur aufbaue, setzt sich eher für sie ein. „Denn das, was man liebt, schützt man auch.“
Reuther führt mich ein Stück blind durch den Wald. Beziehungsweise gebe ich meinen Weg vor und sie leitet mich so, dass ich mit keinem Baum zusammenstoße. Mit geschlossenen Augen nehme ich nur ein paar wenige Lichtreflexe der schwachen Wintersonne war. Zuerst fühle ich mich unsicher auf den Beinen. Dann laufe ich immer sicherer über Blätter und Äste. Alle paar Meter halten wir an und ich berühre das Moos eines Baumes, Zweige mit vertrockneten Blättern, einen abgestorbenen Baumstumpf am Boden.
Als ich die Augen wieder öffne, nehme ich alles deutlicher war. Die Farben, die Bäume, den Wind auf meinem Gesicht. Am Ende des Ausflugs fühle ich mich ein bisschen leichter. Es tut gut im Wald zu sein – und ein geführter Ausflug im Sinne des Waldbadens hilft, um sich der Natur wieder bewusst zu werden. Egal ob Trend oder nicht. Text von Jana Pfeiffer
Weitere Informationen gibt es unter www.rosa-maria-waldbaden.de.