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Das Land der Aktienmuffel

Die Deutschen legen deutlich weniger Geld in Aktien an als ihre Landesnachbarn. Woher kommt das und wie sieht der deutsche Anleger eigentlich aus?

Foto: peterschreiber.media - stock.adobe.com

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Wir schreiben das Jahr 1996: Das Staatsunternehmen Deutsche Telekom wird privatisiert und geht an die Börse. Mit dem damals populären Schauspieler Manfred Krug inszeniert die Telekom eine beispiellose Werbekampagne, die den Deutschen die Angst vor einer Aktieninvestition nehmen soll. "Die Telekom geht an die Börse. Und ich geh' mit", skandiert der beliebte Tatortkommissar in der Kampagne. 1,9 Millionen deutsche Privatanleger folgen seinem Ruf und kaufen die oft als Volksaktie titulierte Unternehmensbeteiligung. Doch die Euphorie hält nicht lange an: Am 10. September 2001 platzt die große Dotcom-Blase und es beginnt der Fall der T-Aktie bis unter den Ausgabekurs. Viele Anleger verlieren Geld und damit das Vertrauen in den Aktienhandel. Ein Trauma, das bis heute nachwirkt? Der deutsche Privatanleger gilt als sehr konservativ und risikoavers. Doch wie genau sieht der deutsche Aktionär eigentlich aus und wie steht das Volk der Sparer im internationalen Vergleich da?  

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Quelle: Deutsches Aktieninstitut, LBBW Research

Die Quote zeigt's

Eine gute Kennzahl dafür ist die Aktionärsquote. Also der Anteil an der Bevölkerung, der einen Teil seines Vermögens in Aktien investiert hat. Kurz nach dem zweiten Börsengang der Volksaktie Telekom im Juni 1999 lag die Quote bei 9,7 Prozent. Nach dem Börsencrash 2001 wandten viele Anleger dem Kapitalmarkt den Rücken zu und der Anteil der Aktienbesitzer in Deutschland halbierte sich innerhalb der nächsten sieben Jahre nahezu. Danach pendelt sich die Aktionärsquote in etwa bei sieben Prozent ein. Nach neustem Stand (2019) sind in Deutschland 4,16 Millionen Menschen Aktienbesitzer, was einem Anteil von 6,5 Prozent entspricht. Damit belegt Deutschland im internationalen Vergleich lediglich den neunten Platz. Im Nachbarland Frankreich vertrauen schon mehr als doppelt so viele Menschen ihr Vermögen der Börse an. Spitzenreiter sind die Niederlande. Als Heimat der ältesten Wertpapierbörse der Welt hatten die Niederländer deutlich mehr Zeit, Vertrauen in die Unternehmensanteile zu gewinnen. Seit 1409 werden in Brügge Wertpapiere gehandelt, was mit ein Grund dafür sein dürfte, dass in dem größten Land der Benelux-Union fast jeder Dritte in Aktien investiert.

Jeder zweite Akademiker ist Aktionär

Doch dass die Deutschen so wenig Geld in Aktien haben, liegt an vielen Faktoren. Der durchschnittliche Aktienbesitzer in Deutschland ist männlich, um die 40 Jahre alt, verfügt über einen Hochschulabschluss und verdient mindestens 4 000 Euro netto. 42 Prozent der Männer, aber nur 25 Prozent der Frauen besitzen derzeit Wertpapiere. Besonders beliebt dabei sind Aktienfonds. Das sind Ergebnisse der Studie "Aktienkultur in Deutschland" der Initiative "Aktion pro Aktie". Für die zum vierten Mal in Folge durchgeführte Studie wurden im Juli und August 2020 insgesamt 2 000 Deutsche ab 18 Jahren online befragt.

Während bei Bundesbürgern unter 35 Jahren das Sparbuch überdurchschnittlich populär ist, entscheiden sich die 45- bis 54-Jährigen besonders häufig für Aktienfonds. Gut ein Viertel von ihnen hat in Fonds investiert; in keiner anderen Altersgruppe ist der Anteil an Aktienfondsbesitzern größer.

Auch der Bildungsgrad beeinflusst die Wahl der Geldanlage. Je höher der Abschluss, desto diverser ist auch das eigene Portfolio. So besitzen fast sieben von zehn Hochschulabsolventen mittel- oder langfristige Geldanlagen wie Bausparverträge, Immobilien oder Anleihen. Im Bundesschnitt trifft dies nur etwa für jeden Zweiten zu. Deutsche ohne Abschluss oder mit Volks- oder Hauptschulabschluss besitzen nur zu 41 Prozent mittel- oder langfristige Geldanlagen – dies sind unterdurchschnittlich wenige. Bei Aktien spielt der Faktor Bildung eine noch größere Rolle: Jeder zweite Hochschulabsolvent investiert in Aktien. Lediglich 13 Prozent der Menschen ohne oder mit niedrigem Abschluss besitzen Aktien.

Mehr Einkommen, mehr Spielraum

Nicht nur der Bildungsgrad, auch das Haushaltsnettoeinkommen verändert das Anlageverhalten der Menschen. Wer nur wenig verdient, hat weniger Spielraum zu sparen und zu investieren. Wenn überhaupt, nutzen Geringverdiener eher kurzfristige Geldanlageprodukte wie Girokonto oder Sparbuch. Je höher das Einkommen, desto eher investieren die Bürger in langfristige Anlagen. Drei Viertel der Deutschen mit einem Haushaltseinkommen von mindestens 4 000 Euro netto haben Ersparnisse in Bausparverträgen, Immobilien, Lebensversicherungen, Festgeld oder Anleihen angelegt. Mehr als die Hälfte der Gutverdiener ist am Aktienmarkt aktiv. Im Bundesdurchschnitt verfügt gut jeder Zweite über mittel- und langfristige Anlagen. Bei einem Haushaltseinkommen von unter 1 000 Euro haben nur 23 Prozent in mittel- und langfristige Anlageprodukte investiert und der Anteil an Aktienträgern liegt deutlich niedriger. Doch vor allem die junge Bevölkerung findet zunehmend Gefallen an den Unternehmensteilen. Aber in was investieren die Bundesbürger, wenn der Großteil der finanzstarken Bevölkerung auf den Handel mit Aktien verzichtet?

Nicht ohne Grund gehört die Mär vom deutschen Sparer in der Finanzbranche schon zur Folklore. Im Frühjahr 2020 führte der Verband der Privaten Bausparkassen eine repräsentative Befragung mit 2 000 Teilnehmern durch. Thema war, welche Möglichkeiten der Geldanlage die Befragten aktuell nutzen. Das Ergebnis: Das Sparen auf dem Girokonto ist die beliebteste Anlageform. Platz zwei geht an das Sparbuch. Diese Anlageformen genießen immer noch großes Vertrauen und sind mit wenig laufendem Aufwand verbunden. Doch büßt das Sparbuch einiges an Beliebtheit ein. Durch die Niedrigzinsphase schichten viele deutsche Sparer ihr Geld um, verstärkt in Immobilien. Die Plätze drei und vier des Rankings belegen Renten- und Kapitallebensversicherungen und der Bausparvertrag. Es folgen Immobilienengagements auf Platz fünf und Tagesgeldkonten auf Platz sieben. Aktien stehen lediglich auf Platz neun.

Das Allgäu unter der Lupe

Schiebt man die Lupe über das Allgäu, erhält man ähnliche Erkenntnisse wie die deutschlandweiten Statistiken. "Der Anleger im Allgäu ist konservativ, höchstens risikoscheu", ordnet Herbert Brändle, Leiter der Vermögensverwaltung bei der Raiffeisenbank im Allgäuer Land, die Lage in der Region ein. Dabei bezieht er sich auf die unterschiedlichen Anlegerklassifizierungen. Risikoscheu bedeutet, dass der Anleger bereit ist, höchstens etwa 25 bis 33 Prozent seines Finanzvermögens in Aktien zu halten. Die beliebtesten Anlageformen der Region – noch vor Beginn der Coronakrise – seien demnach das Tagesgeldkonto, Bausparverträge, Lebensversicherungen und Immobilien. Doch die Pandemie löste einen Ansturm auf Aktien im Allgäu aus. "Seit dem Pandemiebeginnn im Februar/März letzten Jahres haben die Aktien- und Wertpapierengagements deutlich zugenommen", erzählt Brändle. Der Allgäuer Anleger habe in der Krise rational entschieden, meint er. Teilweise seien die Sparguthaben umgeschichtet worden, weil es keinen Zins gibt. "Der Mensch sucht nach anderen Möglichkeiten, Rendite zu erzielen", sagt der Experte, "dabei ersetzen die Dividenden oftmals die Zinszahlungen."

Abschließend betont Brändle die Wichtigkeit einer Vermögensstruktur. Am besten ließe sich so etwas über einen monatlichen Sparplan aufbauen, der einen Anteil an Aktien oder Fonds beinhaltet.