Wie wichtig die Schulter im Alltag ist, stellen wir häufig erst fest, wenn sie nicht mehr reibungslos funktioniert. Wir haben mit den Oberärzten Dr. Stefan Dellner, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, und Dr. Gerhard Tümmers, Facharzt für Unfallchirurgie, über das komplexe Thema Schulter gesprochen.Was steckt am häufigsten dahinter, wenn Menschen mit Schulterproblemen zu Ihnen kommenStefan Dellner: Die meisten Patienten, die wir an der Schulter behandeln, haben akute Verletzungen. Neben Frakturen (Knochenbrüche) und Luxationen (Verrenkungen) häufig auch Sehnenrisse. Ein weiterer großer Teil unserer Patienten kommt mit degenerativen Veränderungen, also Verschleißerscheinungen, oder mit Schmerzproblemen zu uns. Dabei ergeben sich Überschneidungen mit der Endoprothetik.Gerhard Tümmers: Die Art der Schulterverletzungen ist unter anderem auch vom Alter des Patienten abhängig. Eine gesunde Sehne reißt nur bei einem starken Trauma. Das heißt, junge und ansonsten gesunde Patienten kommen in der Regel nur nach schweren Unfällen oder Sportverletzungen zu uns. Bei Älteren kann es sein, dass die Sehne durch Mikrotraumen oder Einengung auch ohne ein großes Ereignis reißt.In welchen Situationen behandeln Sie zuerst konservativ und wann operieren Sie?Tümmers: In den meisten Fällen kann zuerst eine konservative Behandlung erfolgen – im Sinne von Krankengymnastik und Schmerztherapie. Nehmen wir die Rotatorenmanschettenläsion, also einen Sehnenriss: Von den vorhandenen Sehnen in der Schulter reißen dabei in der Regel nicht alle gleichzeitig. Ist beispielsweise nur eine Sehne betroffen, kann man die anderen gezielt trainieren. Wenn das nach einem angemessenen Zeitraum nicht zu den gewünschten Ergebnissen für den Patienten führt, ziehen wir einen Eingriff in Betracht. Doch auch dann hat die bisherige konservative Therapie ihren Nutzen, weil das Training die Ausgangslage für den Eingriff verbessert. Es ist also auch nie verlorene Zeit.Von was für einem Zeitraum sprechen wir?Dellner: Das kommt natürlich auf die Art der Verletzung an. Bei vielen Sehnenschäden erfolgt die konservative Behandlung über drei bis vier Monate, bevor wir operieren. Dann gilt es zu sehen, ob der Arm immer noch zu schwach oder der Schmerz zu stark ist. Wir binden die Patienten eng ein um herauszufinden, wie ihr Anspruch aussieht und helfen, realistische Ziele zu setzen. Bei Patienten mit Arthrose vergehen oft mehrere Jahre bis sie den Wunsch haben, Teile der Schulter künstlich zu ersetzen. Denn das ist ja eine endgültige Entscheidung.Wie sieht die Diagnose bei Schulterbeschwerden aus?Tümmers: Wichtig sind die Anamnese und die körperliche Untersuchung. Hierdurch lässt sich die Diagnose bereits gut eingrenzen. Große Vorteile bietet eine Ultraschalluntersuchung des Schultergelenks. Denn diese findet nicht nur statisch, sondern auch dynamisch, also in der Bewegung statt und bringt keine Strahlenbelastung mit sich. Weiterhin Standard sind Röntgenaufnahmen und Kernspintomographie (MRT), ergänzend in manchen Fällen auch die Computertomographie.Dellner: Eine genaue Diagnose ist wichtig, um unsere Patienten der richtigen, individuellen Behandlung zuzuführen. Das ist zum Beispiel schon allein deshalb entscheidend, um zu wissen, ob Bewegung mit Physiotherapie oder eine Ruhigstellung der richtige Therapieansatz ist. Eine zu lange Ruhigstellung sollte möglichst vermieden werden, um durch eine Einsteifung den Behandlungserfolg nicht zu ruinieren.Wie operieren Sie, wenn das nötig wird?Dellner: Bei den meisten gelenkerhaltenden Eingriffen, beispielsweise Rekonstruktionen der Rotatorenmanschette oder bei Schulterstabilisierungen gehen wir fast ausschließlich arthroskopisch, also minimalinvasiv vor. Es hat sich gezeigt, dass es dadurch weniger Beschwerden nach der OP gibt und die Ergebnisse genauso gut sind. Wir müssen da also keine Kompromisse machen.Tümmers: Wenn wir Brüche operieren oder Prothesen implantieren, muss das allerdings offen erfolgen. Dazu reicht aber meist ein acht bis zehn Zentimeter großer Schnitt. Grundsätzlich wird versucht, den gebrochenen Knochen zu rekonstruierten und zu erhalten.Sie haben bereits das Thema Prothesen angesprochen. Wann kommen diese zum Einsatz?Tümmers: Das ist ähnlich wie bei Knie- oder Hüftprothesen, mit denen wir hier im Rahmen unseres Endoprothetikzentrums sehr viel Erfahrung haben. Ist eine Fraktur so ausgeprägt, dass sich ein Gelenk nicht mehr rekonstruieren lässt, kommt eine Prothese zum Einsatz. Oder, wenn eine Arthrose auch nach erfolgter konservativer Behandlung noch zu sehr schmerzt und die Lebensqualität beeinträchtigt. Außerdem ist bei älteren Patienten manchmal die Knochenqualität so schlecht, dass ein künstlicher Gelenkersatz Sinn macht.Dellner: Die Qualität von Prothesen an Schulter-, Hüft- und Kniegelenk hat sich immer weiter verbessert, sodass diese länger halten als früher. Damit wird auch die Notwendigkeit von Wechseloperationen deutlich seltener. Sollte das jedoch einmal erforderlich werden, führt dies in den Händen eines erfahrenen Operateurs auch dann wieder zu einer Verbesserung der Lebensqualität.
2021-06-22